Montag, 23. Dezember 2013

Achtens - ein Hamelner Junge in Schottland


 Ein Hamelner Junge im Kilt


Mittwoch, 26. August 2009
Erweitert am Dienstag, 17. Dezember 2013

           … vielleicht war es ein Rock?




Bild 1 
Schottischer Junge im Kilt, 
von R. R. McIan, etwa 1845. Clan Grant



Erinnerungen und Fiktionen (!):  Schotten in Hameln —
  und dann ein Hamelner Junge in Schottland —
  meine Träumereien seit ich 10 war,
  endlich hingeschrieben und hingezeichnet.

     Kilt oder Rock, 1946


eine Liste aller meine Blogs hier:

(von Aryaman)

Keine Bomben fielen mehr und zerstörten Häuser und Bahnanlagen, keine Bomberpulks flogen mehr über meine Stadt Hameln in Richtung auf eine Großstadt, keine Luftkämpfe zwischen feindlichen und deutschen Jagdflugzeugen mit Leuchtspurmunition waren mehr zu sehen, nachts war die Wolkendecke am Himmel nicht mehr rot vom brennenden Hannover oder Bielefeld, keine abgeschossenen Flugzeuge oder zerstörerische Bomben fielen mehr vom Himmel, es wurden keine ungenutzten Bomben mehr im Land verstreut — Notabwürfe, und die Bombentrichter auf den Äckern waren noch Jahrzehnte lang zu sehen, und wir Kinder suchten die scharfkantigen Bombensplitter in ihnen —, die feindlichen Flugzeuge verteilten keine leeren Benzinkanister oder silberne Staniolstreifen mehr über das Land, und keine toten Bomberpiloten wurden mehr aufgesammelt.

Dafür waren fremde Soldaten in der Stadt und große Mengen von Flüchtlingen aus Ostpreussen und Oberschlesien, und heimgekehrte und besiegte und verwundete deutsche Soldaten in Lumpen . . . alles in Lumpen und mit kleinstem Gepäck, Reste einer geschlagenen Armee in Lumpen, mit Armkrücken humpelten manche über den Not-Steg neben der gesprengten Weserbrücke, Hühnerleiter runter, Hühnerleiter rauf, wieder runter und rauf an die andere Seite, die rennenden Kinder anfluchend „ihr reißt einem ja noch die Krücken unter dem Arsch weg“ . . . , was uns amüsierte und erschreckte.

Und die Brücke über die Weser, erst vor 20 Jahren erbaut und sehr modern im Stil, die ja noch in den letzten Kriegstagen von unseren Leuten gesprengt worden war, wurde bald durch eine seitwärts gebogene hölzerne Notbrücke ersetzt, über die zuerst nur die Wagen der Besatzer fahren durften. Auf dem Werder rauchten erst noch die Trümmer der riesigen Kampfmeierschen „Wesermühle“ — und die Stadt war verstaubt und verdreckt und voller Leute, die nicht zu uns gehörten. Auch wurden Kriegsverbrecher im Zuchthaus gehenkt, was die Hamelner sehr erregte und verletzte, doch nun lag die Macht ja bei anderen.

Doch danach wurde das Leben für mich schön!

Bild 2
So sah der westliche Arm der Weserbrücke im Sommer 1945 aus, gesprengt, zusammengebrochen! Der zweite Not-Steg ist links zu sehen, der erste war vorher rechts. Hinten links die Ruine der Mühle. In der Mitte hinten das Münster. Gezeichnet nach einem Foto von 
Dr. Karl R. Berger, in einer Hamelner Zeitung vom 5. April 1975.



Mein Vater war noch in Gefangenschaft — wie wir erst später hörten, war er im Allgäu bei den Amerikanern.

Auch bei uns waren die Amerikaner mit ihren Jeeps, die sie anstatt sie zu waschen mit einer neuen Schicht Farbe besprühten, jedenfalls war das unser Eindruck. Die Amis, wie sie genannt wurden, waren grau-grün in ihren Farben, ähnlich wie unsere „Landser“, doch ganz anders im Uniformschnitt und in allem, was das Soldatische ausmachte, ja sie rochen auch ganz anders. Und alles, was sie hatten, auch die Unterwäsche und die Taschentücher und die Feuerzeuge (auch die Zigaretten und das Schreibpapier?) war in grüner Tarnfarbe.

So war der Jargon wie wir Kinder uns damals ausdrückten, um über das Geschehen zu sprechen.

Dann marschierten ganz andere Leute durch die Osterstraße in der Stadt: mit eigenartigem, näselnden Flöten-Spiel ein Regiment bunter Soldaten in roten Röcken, es waren Schotten mit Dudelsäcken und gekleidet im Rock, das ist die Regiments-Uniform, ein Männer-Rock, wie ich hörte. Ich war da 12 bis 13 und begeistert von dieser Kleidung. Das herbe Soldatische war etwas gemildert, diese Soldaten sehen einfach frischer aus als die Amis oder vorher die deutschen „Landser“, zu denen auch mein Vater gehörte.

Ja, die Schotten und ihre Röcke. Schon seit ein paar Jahren, mit 9 oder 10 hätte ich lieber einen Rock anstatt Hosen getragen, doch damals hätte ein Junge das nicht laut sagen dürfen — ein Junge im Rock! Und nun aber diese Leute, und ich konnte mich nicht satt sehen an den Schotten, wie bunt dieser Rock war, und wie er beim Gehen umherschwang. Meine Eltern hatten ein paar illustrierte Bücher mit kulturellen Nachrichten aus aller Welt. Und da hatte ich schon bevor ich diese Schotten leiblich sah, alte Bilder von schottischen Männern im Schottenrock gesehen. Und besonders berührte mich das Bild eines schottischen Jungen in der Zeitschrift ATLANTIS (aus Zürich, März 1938, Seite 138 links unten ), der einen „Kilt“, wie sie ihren Rock nannten, trug — es war wie ein Märchen aus einer anderen Zeit (seht das Bild ganz oben). Es war also erlaubt: Jungen und Männer dürfen einen Rock tragen! Eine alte Sehnsucht in meiner Seele nimmt Formen an.

Und dann diese Bemerkungen der Frauen: was tragen die wohl unter ihrem Rock, etwa garnichts? Als ob irgendjemand fragen würde, was sie, die Frauen unter ihren Röcken tragen. Doch selbst mich reizte diese Frage, und ich bekam schnell eine klare Antwort, wenigstens für einen der Soldaten: zwei von ihnen sitzen auf der Rückwand eines vorbeifahrenden Militär-Lasters, und ihre Kilts hängen hinten über die Bordwand des Lasters herunter, in tausend Falten gefältet. Einer der beiden hebt seinen Kilt und kratzt sich an der Pobacke, und da sehe ich es: er ist nackt unter seinem Kilt, nicht mal einen Unterrock! Irgendwie hatte ich das Gefühl, das ist schon richtig so, wozu sonst tragen die einen Rock? Und trotz aufkommender Scham war DAS der Sinn des Kilts, auch für mich.


 Bild 3 
Soldaten auf einem Militär-Laster, 1946 in Hameln gesehen.

Damit beginnt mein Märchen, wie ich es mir als Junge gewünscht hatte, vielleicht ein Traum? — doch leider traf es nie zu. Nun das Märchen:

In jenen Monaten 1946 kommt an einem Tag ein Mann zu uns, ebenfalls in einen bunten Kilt gekleidet, zu uns in unser Haus und will meine Eltern sprechen, er ist einer der Soldaten, ein Offizier. So, so, Ihr Mann ist noch in Gefangenschaft, aber meine Mutter spricht mit ihm. Sie spricht ja englisch, und so geht es, und obwohl ich schon drei Jahre englisch in der Schule hatte, kann ich nur wenig verstehen. Meine Mutter ist sehr verlegen und erklärt mir, daß Mister Agnew (gespochen Äg-Nju) behauptet, eigentlich sei ich SEIN Sohn, und nur durch ein Versehen sei ich als ganz kleines Kind in diese Familie gekommen als seine Frau in Hamburg mit ihrem Neugeborenen im Krankenhaus lag. Und es hätte eine Verwechslung gegeben. Meine Mutter muß zugeben, daß das möglich ist.

Ach nein, so wird das Märchen zu schwierig, obwohl es ein Körnchen meiner Wünsche in sich hat. Ich muß es anders beginnen, nicht so dramatisch, denn ich wäre nicht gerne in eine andere Familie umgezogen, hätte nicht gerne meine Familie verlassen, nicht in dem kindlichen Alter, bestimmt nicht. Also so:

Beim Spielen auf der Straße lerne ich ein paar Kinder kennen, die zu einer schottischen Familie gehören, die in einem der deutschen Häuser wohnen, das das Militär beschlagnahmt hatte, wie man sagte, für Offiziers-Familien. Ja, und diese Jungen tragen einen Kilt. Natürlich habe ich diese Begegnung herbeigefördert wegen meines Sehnens. Ich darf ab und zu diese Familie Agnew besuchen, und es entsteht eine Offenheit und Freundschaft mit mir, auch zu meiner Mutter, die über den Schatten ihres Nationalstolzes springen kann, denn „die Schotten sind ja nicht unsere richtigen Feinde, sie sind ja auch von den Engländern erobert und besetzt worden,“ erklärt sie. Und, worum es mir ja geht: die zwei Jungen dieser Familie tragen fast immer ihren Kilt. Sehr verlegen bin ich, wie ich einmal frage, ob ich auch mal einen Kilt tragen darf, und ihre Mutter holt mir einen Kilt von ihren Söhnen und hilft mir, ihn anzuziehen, was ganz anders ist als die Röcke, die ich an meinen Schwestern sehe aber nie selbst versucht habe.

Die Freundschaft zwischen unseren Familien vertieft sich, und auch mein Vater, als er aus der Gefangenschaft zurückkehrt, hat nichts dagegen: „Feinde? das war einmal, nun ist der Krieg vorbei.“ Und dann kommt es: ich werde eingeladen, für die Sommerferien mit der Familie in ihre schottischen Berge zu reisen, mit einem Militär-Schiff von Cuxhaven nach Dundee.

Sie leihen mir einen Kilt, doch ich traue mich nicht, ihn öffentlich in meiner Stadt zu tragen. Die Angst ist zu groß, als Mädchen verspottet zu werden — aber wieso ist da diese Angst? einfach, weil sie vorher schon geschürt wurde: ein Junge darf nie wie ein Mädchen aussehen, obwohl Mädchen schon mal wie Jungen aussehen dürfen, da ist keine Angst. Ich bekomme nun also einen Kilt geliehen.

An junge Leute wird ein Kilt lieber verliehen als fest vergeben, weil ein Junge so schnell hinauswächst und dann kann der Kilt weiter gegeben werden, Kilte sind sehr teuer und es wäre schade, wenn sie im Schrank herumliegen würden.

Viel packen wir mir nicht in den kleinen Koffer, der Kilt ist das dickste Kleidungsstück, ja und ein Pullover. Und ein Tagebuch (aus dem ich diese Geschichte schreibe) und weiße Unterwäsche und Strümpfe, Nähzeug und sowas. Und natürlich ein kleines Wörterbuch englisch-deutsch von einer der Englandreisen meiner Mutter, vor dem Krieg.

Obwohl es Sommer ist, denken wir, daß es auf der Nordsee kalt und windig sein könnte, also nehme ich einen dicken Mantel mit und eine gute Mütze und ziehe unter die kurzen Sommer-Hosen lange Woll-Strümpfe an, Strümpfe fast so lang wie meine Beine, und dicke Socken und schwere Wander-Schuhe, denn ins Gebirge sollte ich keine Sandalen mitnehmen. Und meine Beine sind empfindlich gegen Kälte, denke ich.

Mit einem großen Militärbus fahren wir nach Cuxhaven, die ganze Familie des Offiziers und andere Familien und viele Soldaten, ich bin fast der einzige, der nicht im Kilt reist, aber alle Soldaten und fast alle Jungen. Wie das so ist, beginne ich mich schon zu schämen, daß ich Hosen anhabe und den Kilt noch nicht annehmen kann.

Wie wir in Cuxhaven die Gangway zum Schiff hochgehen, bin ich froh, keinen Rock anzuhaben, denn der Wind weht den anderen die umfangreichen Rockfalten hoch, und ich denke, da muß es ihnen ja recht kalt sein. Aber jeder weiß, wie er den Kilt runterhält, wie die Frauen und Mädchen es ja auch tun — nur ich habe keinen Grund zu dieser typischen Gebärde.

Meine erste Seereise! Und obwohl die Sonne scheint, ist es auf der Nordsee herbe, der Wind ist kühl, manchmal kalt. Etwas schaudert es mich vor diesem großen Eisen-Ding, dem Dampfer mit dem dicken schwarzen und stinkenden Rauch während der ganzen Reise. Auf dem Schiff bin ich nun ganz unter Schotten, einige Engländer sind auch dabei, die ich daran erkenne, daß sie Hosen tragen — alles in dieser typisch britischen gelblich-grünen Uniformfarbe, selbst manche Soldatinnen im Kostüm in dieser Farbe. Und nun nehme ich mir auch meinen Kilt, besser, ich lasse mir von meinen Freunden helfen, denn es ist eine besondere Kunst, ihn richtig anzuziehen.

Trotz der Erfahrung mit dem jungen Soldaten auf dem Lastwagen behalte ich meine Unterhosen an und sehe, auch die anderen Jungen tragen etwas ähnliches: flaschengrüne „bloomers“, wie sie sagen. Meine eigenen weißen, flatterigen Unterhosen sind mir zu auffällig und ich lasse mir später solche „bloomers“ geben, das sind 1/4-Schenkel-lange, sehr weite, bauschige Schlüpfer, die unten mit einem Gummiband um die Schenkel liegen. Sie werden bei uns nur von Mädchen getragen, zum Beispiel von meinen Schwestern, und ich finde sie häßlich an deren Beinen. Doch so ernst nehme ich das nun nicht, die Jungen hier tragen sie ja alle, die Mädchen auch. Dennoch mag ich es nicht, wenn sie zu sehen sind, wenn ich sitze und der Kilt etwas hoch rutscht, oder wenn der Seewind ihn hochweht. Ich glaube, wenn wir Jungen diese bauschigen „bloomers“ unterm Rock tragen, sehen wir etwas breiter aus, nicht so dünn und schmal wenn nur der Kilt unseren Unterleib umhüllt.

 
 Bild 4
Die Einfahrt zum Firth of Tay, Dundee, von der Nordsee aus. 
Mein langes Unterhemd habe ich weg gelassen.

Zwei junge Soldaten auf Heimaturlaub und Jacky und ich. Mr. Agnew fotografiert und bittet mich, den Kilt ein wenig zu heben, um die dunkelbraunen, langen Strümpfe zu zeigen, die so ungewohnt für die Schotten sind. Für das Foto habe ich über die langen Strümpfe die guten schottischen Wollkniestrümpfe gezogen. Die anderen tragen aber einfache Kniestrümpfe wie sie zur soldatischen Uniform gehören. Es ist ziemlich windig, und einige Kilts flattern. Ich weiß nichts über die Bedeutung der beiden Käppis, außer daß sie schön sind. Mein Kilt ist orange mit Rot und schwarzen Karostreifen, die anderen Kilte sind rot und weiß mit schwarzen Streifen*). Meine Jacke ist dunkelgrün, die Jacken der anderen sind gelblich-grün und gehören zur ihrer Uniform.

*) in Wirklichkeit weiß ich nicht, welchen Tartan die britischen Soldaten
in Hameln trugen, wer weiß es? Welches Regiment war es?
Kommandeur war Colonel Riddle, der vor einigen Jahren
gestorben ist. Mein Bruder hatte noch lange Kontakt mit ihm.



Gelassen stehen die Leute an der Reeling, und es ist ein märchenartiges Bild, wie ihre bunten Kilte umherflattern — flattert meiner auch so? Alle Jungen und Männer scheinen ihre Knie so richtig zu zeigen, ihre dünnen dunkelgrünen oder dicken weißen, gestrickten Wollstrümpfe lassen die Knie frei, und der Kilt auch. Das ist mir zu nackt, also behalte ich auch auf dem Schiff meine langen Baumwoll-Strümpfe an. Es wundert mich, daß sie zum Kilt nie welche tragen, und das habe ich später auch an Land nie gesehen. Ich bin da eine Ausnahme, denn ich liebe meine Strümpfe und rolle sie nur runter, wenn ich schon fast schwitze, was im schottischen Hochland selten ist. Und über die langen Strümpfe ziehe ich manchmal noch die schottischen Kniestrümpfe — wie ihr es auf dem Bild sehen könnt. Nur ganz oben unter dem Kilt sind meine Beine nackt, nur auf eine kurze Länge von einer Hand-Breite. Doch da sind sie ja bedeckt vom langen Unterhemd und vom Kilt; selbst wenn er flattert, denn oben ist er enger genäht.

Zuerst war es ein eigenartiges Gefühl, nichts zwischen den Schenkeln zu haben, die Beine sind sozusagen in einer weiten Röhre. Das hatte ich noch nie. Als ich später, in den schottischen Bergen keine englischen Bloomers oder deutschen Unterhosen mehr trug, war das Gefühl noch seltsamer. Zuerst schämte ich mich, so zu sagen: es gehört sich doch, eine Unterhose zu tragen. Da mache ich etwas Verbotenes, wenn ich unterm Kilt nackt bin, so fühlte ich zuerst, doch bald legte sich dieses Gefühl. Und dann genoß ich meine Nacktheit im´Kilt. Diesen Genuß habe ich das ganze Leben nie verloren.

Obwohl ihre Kilte so bunt sind, ist die Kleidung der Leute sonst sehr eintönig und fast trübe dunkel: in den Militärblusen oder -hemden, die alle diesen gelblich-grünen Ton haben.

Im Hafen von Dundee steigen wir wieder in einen Militärbus, der uns zum Bahnhof  bringt. Nun ist es schon ein großes Gefühl im Kilt zu gehen, ein weites Gefühl, weniger eingeengt als in Hosen, auch und besonders, weil er so bunt ist und weil alle Jungen in unserer Gruppe einen tragen. Sonst sehe ich selten einen im Kilt auf den Straßen. Und es ist etwas Leichtes in so einem Rock, mir fällt das Wort „lebendig“ ein. Es ist gemütlich in ihm, besonders in meinem, der auch die Knie bedeckt und warm hält, und den ich um die Knie wickeln kann. Es fühlt sich darin an wie in einem warmen Zimmer.

Im Zug ins Land rein, nach Perth, ich setze ich mich an ein linkes Fenster und sehe zuerst auf das Wasser des „Firth of Tay“, ein Meeresarm, und bewundere die Brücke über den Tay, eine hohe und lange Eisenbahnbrücke. Später kann ich zwei Ansichtskarten kaufen, auf denen ich genau neben der Brücke kurze, alte Pfeiler stehen sehe, nur noch Stümpfe, die eben aus dem Wasser ragen, mit ein paar Vögeln draufsitzend — hier stand mal eine ältere Brücke, und ich schicke eine von den Karten an meinen geliebten Englisch-Lehrer Dr. Schnaar, ja Friedrich Schnaar heißt er. Wie ich nach den Ferien in Hameln wieder zur Schule gehe, erzählt er mir, daß der Dichter Theodor Fontane (der ja viel in Schottland lebte) über diese ältere Brücke ein Gedicht geschrieben hat, in dem er ihren Einsturz im Sturm beschreibt, und wir lesen es zusammen in der Klasse und ich muß von meinen Erlebnissen erzählen und morgen soll ich meinen Kilt tragen (den ich noch nicht wieder abgeben musste, und in dem ich nun keine Scham mehr hatte). Dr. Schnaar war begeistert diese Karte zu bekommen, denn er war noch nie auf den britischen Inseln gewesen, und so gestaltete er eine ganze Unterrichtsstunde zu Schottland und allem. Doch zurück zur Reise in die Berge:

Im Bahnhof des Städtchens Perth verteilen wir uns, und ich reise weiter mit meiner Familie Agnew nach Norden in die Highlands in die Nähe des großen und kahlen Schehallion-Berges, wo die Agnews ein Haus besitzen, ganz auf dem Lande und hoch am Berghang und mit einem weiten Blick über das Loch Tummle, einer dieser langen Seen, in denen Ungeheuer vorkommen sollen. Das Haus steht mit wenigen anderen sehr einsam, es ist grau, wie auch das Steindach. Hier ist kein Wald, nur wilde Heide, auf der Schafe und absonderliche Kühe grasen und auch Hirsche und Schneehühner vorkommen sollen. Die Schafe und Kühe werden von den jungen Leuten, auch von Kindern gehütet, und schon am nächsten Tag gehe ich mit raus.

Von der Bushaltestelle müssen wir noch 2 Sunden durch diese wilde Gegend bis zum Haus gehen, es ist sehr mühsam, auch weil der Weg sehr steinig ist, und immer wieder stolpere und rutsche ich hin und reiße mir ein Loch in einen Strumpf, und abends muß ich stopfen, und ich  bin froh, daß mir meine Mutti noch als Reiseübung das Stopfen beigebracht hatte, aber es ist richtig romantisch, mit den anderen am brennenden Kaminfeuer zu sitzen und Strümpfe zu stopfen. Sehr glücklich bin ich, hier zu sein. In dem Haus ist es kalt und feucht, und Frau Agnew hatte schon bald in dem Kamin ein großes Feuer gemacht, das nun die ganzen Ferien über brennt, mit Holz und mit Kohlen. Die stinken etwas, fast wie der Dampfer. Neben den Wegen haben sie Steinwälle, hinter denen die Schafe leben, mal eine Herde mit schwarzen Gesichtern, mal eine mit weißen Gesichtern.


Bild 5
Die schottischen Gebirgskühe und ein Hütejunge bei Regen, Sturm und Nebel, und es ist gerade recht kalt.

 Und diese Kühe! Ich denke, die sind von einem anderen Stern: ihr beiges Haar hängt ihnen über die Augen, sie haben wirklich sehr lange Hörner, doch Angst hat man vor ihnen nicht, denn sie sind lieb und zahm und klein.

Ab und zu kommt ein junger Schafhirte heran und begrüßt uns, und diese Jungens tragen alle Kilte, schön bunt und auch unterschiedlich in den Farben, und ich sehe sie schon von weitem an dem grellen Rot oder Blau oder Grün. Sie rufen fröhlich herüber, „nice weather today,“ obwohl es gerade regnet und ihre Gesichter und Beine glänzend naß sind und die Haare triefend im Gesicht hängen. Ja regnet und stürmt, und dazu Nebel, und ich freue mich über meinen dicken Mantel und über den dick-wollenen Kilt, der zwar um die Knie weht und die frische Luft unten an den Leib lässt, aber er wird nie wirklich naß, und das bißchen Nässe, das reingesaugt wird, trocknet sofort wieder. Die Schäfer tragen gegen Regen und Wind eine dicke Wolljacke, manchmal recht kurz, meine ich, und an den Beinen und Füßen nichts, die müssen ganz schön abgehärtet sein.

Und dieses Haus: es ist nicht verputzt, auch innen nicht, und ich komme mir vor wie in einer Höhle im Felsen, und der große Raum in der Mitte ist recht dunkel, aber elektrisches Licht haben sie nicht, nur mal eine Kerze oder eine Petroleumlampe, die stinkt, und das Fenster ist klein. Mit den beiden anderen Jungen Jacky und Mike wohne ich in einer kleinen Kammer unter dem Dach, und ein Rauchrohr vom Kamin her erwärmt es etwas. Zwischen die Steine auf dem Dach haben sie Moos gestopft, das den Wind abhält.

Die beiden hatten sich schon vorher gewundert über meine langen Strümpfe. Und wie ich mich ausziehe, wollen sie die Strumpfhalter sehen und das Leibchen und alles, an dem sie festgeknöpft sind. Wir setzen uns nebeneinander auf ein Bett, und ich ziehe meinen Kilt hoch, damit sie alles sehen können. Sie finden diese Kleidung so eigenartig wie unsere Leute in Hameln es eigenartig finden, daß Jungen Röcke tragen.

Am nächsten Tag holen sie sich ihre alten Kilte aus einer Truhe, schon etwas verschlissen und etwas zu kurz, denn die Kilte von gestern sind die Sonntags-Kilte, sage ich mal. Eigentlich sind es die Kilte in dem Muster, das zum ganzen Regiment ihres Vaters gehört. Doch die hier holen sie sich für die Ferien raus, in den Ferien nämlich tragen die Jungen und der Vater ihre Familie-Agnew-Kilte, die blau und grün kariert sind mit roten Streifen, ein wenig düster im Ausdruck. Nun ziehen sie auch diese bloomers nicht mehr an, und ich mag sie auch nicht und komme wieder auf meine deutschen weißen Unterhosen zurück. Doch nach zwei Tagen ziehe ich auch die nicht mehr an sondern habe nichts mehr drunter, wie die anderen auch — und wie jener Soldat auf dem Lastwagen. Und nun erst fühle ich mich richtig wohl in meinem knielangen Kilt (eigentlich ist er etwas zu groß) und wohlig eingewickelt — wie in eine warme Wolldecke — und schon ein wenig schottisch. Und sie gehen barfuß, was für mich schwierig ist, denn alles ist so steinig, und meine Knie frieren und ich behalte erstmal die dicken Wanderschuhe und die langen Strümpfe und ein langes, warmes Unterhemd an, lang bis fast an die Knie — und meinen wollenen Rollkragenpullover. So ist mir wirklich warm, auch an den beinah nackten Schenkeln. Da sind also:
die Strümpfe, das Leibchen, das fast bis zum Po reicht und an das ein oder zwei
Strumpfhalter angeknöpft sind, das lange Unterhemd und der Kilt, und oben der
Rollkragenpullover und eine dicke Wollmütze. Wenn es mir zu
windig ist, ziehe ich den Mantel über alles.
Mama sagte während wir alles ausrüsteten, „da haben wir Mädchen für euch Kilt boys doch gut vorgesorgt, oder?“ Ja, es ist ein wenig Mädchenkleidung, auch der Kilt, und ich fühle mich sehr wohl darin, etwas mädchenhaft, was ich mag.

Die Stimmung mit den Agnew-Kindern ist hier ganz anders als in Hameln auf der Gaußstraße, wo sie wohnen. Sie stehen früh auf und stürmen erstmal nach draußen, auch wenn es regnet. Später erst kommt das Frühstück.
Einige Tage später kommt eine Familie aus dem südschottischen Flachland zu Besuch, aus den Lowlands. Und nun entdecke ich etwas über Sprachen, denn unter einander sprechen die eine Sprache, die ist nicht englisch sondern ähnelt eher dem Deutschen, und ich verstehe ab und zu etwas, jedenfalls besser als englisch.


 Bild 6
Der Schehallion-Berg und die Sommerhütte der Agnews.

Und dann erklären sie mir noch was über die alte schottische Sprache, die sie gälisch nennen, aber nur noch wenige Leute können sie richtig sprechen, sagen sie. Und, obwohl diese Leute aus den Lowlands sich auch als Schotten verstehen, tragen sie keine Kilte. — Übrigens, wie verständige ich mich eigentlich? Herr Agnew und seine Frau können einigermaßen deutsch sprechen, und das reicht dann, doch ich versuche auch, mein Englisch zu verbessern, was sehr viel bringt, wie Dr. Schnaar mir nach den Ferien bestätigt, obwohl ihm meine neue (schottische) Aussprache nicht so gut gefällt. Doch ich verstehe nicht, was er damit meint.

Hier aber begeistere ich mich immer mehr am Kilt. Er ist DAS Kleidungsstück für mich. Er IST ein Rock, wenn auch die Schotten sagen, daß ein Kilt kein Rock („a kilt is a kilt, never a skirt“) sei, aber ich glaube, das sagen sie nur, um sich von den Frauen zu unterscheiden, sie haben etwas Scham davor, sich wie eine Frau zu kleiden. Ich denke aber, das ist alles nur eine Spielerei. Mein Kilt ist orange, und sie sagen er ist aus Ulster, was eigentlich zu Irland gehört, also nicht schottisch ist. Dabei lerne ich, daß der Kilt auch in Irland und sogar in Wales getragen wird, aber seltener als hier.
 
Bild 7
So ungefähr sieht mein Kilt aus, ein berühmtes Gemälde von Milrais
 
Meiner ist sehr lebendig in seinem strahlenden Orange mit ein paar schwarzen und roten Karostrichen drauf. Ja, Irland und so: bevor ich losreiste, hat meine Mutter mir extra Erdkundeunterricht gegeben, wir sind die Karte von Groß Britannien durchgegangen, die unter einer Glasscheibe oben auf einer kleinen Truhe angebracht ist, sehr alt und sehr wertvoll, aber immer noch alles richtig, sagt sie.

Hier in Schottland tragen alle Jungen zur Schule kurze Hosen, aber in den Ferien und bei Festen gilt für viele nur ihr Kilt, auch für die Agnew-Jungen, und für den Vater natürlich auch. Ach ja, und in Hameln tragen sie den Kilt, um sich von den deutschen Jungen zu unterscheiden, allerdings in dem roten und weißen Tartan des Regiments. Auch jede Familie hat ein eigenes Muster, alles Karo-Muster, Tartan genannt. Da ich keiner dieser Familien angehöre, ist es egal, was ich trage, und wenn ich aussuchen könnte, würde ich den Tartan dieses Landstriches hier wählen, er ist in strahlenden, grünen und blauen Farben, mit noch einem dünnen, roten Strich drin, er wird hier in der Gegend viel getragen, heißt Grampian wie eben diese Gegend — soweit man überhaupt sagen kann, daß Kilte hier „viel“ getragen werden, eher selten, eben fast nur auf Festen und in den Ferien, wenn sie auf dem Lande leben. Er ist heller als der Tartan der Agnews, er strahlt sogar. Doch ich bekam ja diesen Kilt mit den orangen Farbtönen, den ich an mir sehr mag, er steht mir, denke ich, und ich mag gar nichts anderes mehr anziehen. Er passt auch zu den erd-braunen Strümpfen und dem hellgrauen Pullover.

Mr. Agnew macht Fotos — auch schon auf dem Schiff —, und so bekam ich einige Bilder, doch für diesen Bericht habe ich sechs Bilder neu gezeichnet, weil ich gerne zeichne und weil ich Einzelheiten reinbringen oder weglassen kann, anders als im Foto. Ihr seht, die Röcke und Kleider der Mädchen sind länger als die Kilte der Jungen. Auch tragen sie meistens schwarze, lange Strümpfe, die Jungen nie — mit meiner Ausnahme. Wenn es warm ist, lassen aber alle die Strümpfe und Schuhe weg, nur nicht in der Schule oder wenn sie in die Stadt fahren. Da gehört es sich, lange schwarze Strümpfe anzuziehen.
 
Bild 8 
Zwei Mädchen und zwei Jungen vom Dorf, Mike zeigt uns
seine „bloomers“; ganz hinten stehe ich, ausnahmsweise mit nackten Beinen.
 
Einmal bekomme ich — zur Erinnerung sagen sie — ein besonderes Buch geschenkt, Wee Gillis. Es erzählt mit hübschen Zeichnungen die Geschichte eines Jungen, der sich entscheiden muß, ob er zu den Schotten im Gebirge oder in den Lowlands gehören will, schließlich ist sein Weg, daß er immer hin- und herwandert, beim Kilt bleibt und den Dudelsack für alle spielt, als umherziehender Musiker.

Manches ist in dem Buch so gezeichnet wie ich es auch gesehen habe. Zum Beispiel die Häuschen und die Schafsweiden und diese niedlichen Kühe. Und zum Beispiel das Frühstück: eine Schale mit Hafergrütze und Schafsmilch, und einmal habe ich mir eine Schale voll auf meinen Kilt geschüttet, und ihr werdet euch wundern: nichts blieb auf dem Kilt zurück, denn schnell sprang ich auf und schüttelte die Milchtropfen vom Stoff und . . . er war sauber wie vorher. Diese Schafwollstoffe sind doch was Wunderbares — dafür ist es auch viel Arbeit, die Schafe zu hüten, zu scheren, die Wolle zu bearbeiten, zu färben, zu spinnen und am Ende die Stoffbahnen und den Kilt zu machen. Alles wird zuhause oder in kleinen Werkstätten gemacht. Und deswegen sind die Kilte so teuer.

Was ist denn eigentlich ein Kilt genau? Das ist ein Wickelrock, der aus einer Stoffbahn von 6 m Länge besteht, wenn er für Erwachsene ist, doch für Jungen ist die Bahn natürlich kürzer, Mädchen tragen ja keine, sie tragen Röcke wie bei uns auch. Die Breite der Bahn ist so, daß der fertig gewickelte Kilt eben oberhalb des Knies endet — es ist ein Stolz der echten schottischen Männer und Jungen, daß die Knie für alle sichtbar sind, vielleicht tragen sie deswegen keine langen Strümpfe, obwohl es im Winter doch recht kalt sein muß. Ich habe hier ein Buch gesehen, das heißt „Red Legs”, von einem Jungen, der so arm ist, daß er sich im Winter keine langen Hosen leisten kann und dessen nackte Beine, die sich aus dem alten und schon zu kurzen Kilt herausstrecken, immer rot vor Kälte sind, daher sein Name.

— Und ihre Knie betonen diese Schotten noch mit den wollenen Kniestrümpfen, die auf den Waden zu einer dicken Wurst umgeschlagen werden. Bei warmem Wetter ziehe ich meinen Kilt etwas hoch, damit meine Knie auch zu sehen sind, denn eigentlich reicht er zu weit runter, und rolle meine langen Strümpfe zusammen bis unter die Knie, das sieht dann schottischer aus.

Die Stoffbahn für den Kilt ist in der Mitte in viele Falten gelegt, doch an den beiden Enden ist sie ohne Falten. Die Falten sind am oberen Handbreit – meistens noch länger — festgenäht und der gefältelte Teil kommt nach hinten. Dieser obere Rand ist mit einem breiten Stück Stoff umnäht und sieht wie eine Art Binde aus, ohne Falten. Man beginnt mit dem Wickeln auf der linken Hüfte, dann vorne, rechts und hinten herum wieder zur linken Hüfte, weiter bis vor den Bauch bis die Bahn schließlich an der rechten Hüfte endet. Dort ist der Kilt also offen, er ist nicht zugenäht wie Röcke sonst, also ein Wickelrock.

Das alles bringt es mit sich, daß der fertig gewickelte Kilt über dem Po von der einen zur anderen Hüfte aus lauter Falten besteht. Doch vorne ist er platt. Der Kilt wird rechts durch zwei seitliche Schnallen und rundherum durch einen Gürtel gehalten. Die Stoffbahn ist unten und an den Seiten nicht gesäumt, und sie franst aus, was für Deutsche vielleicht unordentlich aussieht. Doch mir kommt es vor, daß nicht nur der Rock sondern auch der Stoff nach unten offen ist — und das gibt mir ein Gefühl, nach dem ich mich sehne soweit ich mich erinnern kann: der Erde nahe, offen für die Begegnung mit der Erde, so sage ich das heute.

Dort, wo der Gürtel ist, ist eine Art Trennung zwischen unten und oben, und ob das seelisch so gesund ist, weiß ich noch imme nicht. Später habe ich die Idee — und auch mal die Erfahrung —, daß dieses eine Trennung zwischen meiner Bindung mit der Erde und meinem Denken und Wissen im Kopf ist. Das Vollständigste wäre es, wenn beide ineinander übergingen, ohne diese Trennung, ohne Gürtel, in einem langen Kleidungsstück. Und dazu wäre eine Art Kleid mit Kapuze, also eine Mönchs-Kutte das beste. Doch das kann ich einem Kind nicht empfehlen, das wäre zu viel Hinwendung auf solcherart Vorstellungen. Und das Leben eines Kindes ist fröhlicher und lebendiger.

Wenn ich in einer Kutte — ich hatte nie eine — die Kapuze über meinen Kopf ziehen würde, dann öffne ich mich der Erde und den tiefen Gefühlen. Und ich öffne mich dem Himmel und dem Denken und Wissen, wenn ich sie absetze. Das erste ist eher weiblich, das zweite eher männlich. Am Ende ist beides in mir und ich liebe es, in beidem zu leben.
 

Bild 9 
mein Kilt im irischen Ulster-Tartan.  
Wegen der Hochland-Kälte trug ich meistens  
meine Langen Strümpfe 
und den Pullover

Weil der Kilt so viele Falten hat, kann er weit umherwehen wenn der Wind ihn hebt oder ich tanze. Das Umherwehen mag ich, dann kommt kühle Luft an meinen Körper und die anderen können sehen, was ich unter dem Kilt trage — wie das bei den Mädchen bei uns ja auch ist. Und meine Strumpfhalter werden manchmal auch sichtbar. Die Frauen mögen ja nicht gerne, wenn ihre Halter von den anderen gesehen werden, aber mir macht es Spaß — bin ja auch keine Frau . . .

— und wenn ich heute — nach Jahrzehnten — diese Fotos von mir sehe, finde ich das sogar süß.

Auch sonst ist ein Kilt sehr bequem, weil es geräumig ist in ihm. Fahrradfahren müsste auch gehen, doch das habe ich nie gesehen, doch bei uns zuhause fahren Frauen und Mädchen ja auch im Rock Rad. Und wenn sie richtig sein sollen, sind die Kilte bunt kariert, nach einem Tartan, das heißt nach einem Muster, das zu einer Gruppe von Familien gehört, Clan genannt, oder auch zu einer Landschaft — mein geliehener orange Kilt gehört ja zur Landschaft Ulster, doch sonst habe ich mit dieser Landschaft nichts zu tun — oder er gehört zu einem Soldaten-Regiment. Ach, das habe ich ja schon geschrieben.

Absonderlich ist auch, daß die Schotten nicht ein Wappen-Tier haben wie wir den Adler, sondern eine Wappen-Pflanze, und dazu eine recht stachelige: die stacheligste Distel, die ich mir denken kann. Überall haben sie sie abgebildet. Und das soll so gekommen sein, hat Frau Agnew mir erzählt:

Vor hunderten von Jahren haben mal Wikinger aus Norwegen eine schottische Soldatenschar angegriffen. Es war Nacht und Neumond, und die Schotten schliefen und die Wikinger dachten, so ist das Anschleichen am einfachsten. Rund um das Lager wuchsen aber diese Disteln, und als die Wikinger mit ihren nackten Füßen in das Distelfeld kamen, schrien sie vor Schmerz auf, und der Angriff konnte abgeschlagen werden, und die Schotten verfolgten die Wikinger bis zu ihren Schiffen, so daß die Wikinger erstmal das Land verlassen mußten. Zum Dank wurde die Distel zur Wappen-Pflanze erkoren.

Von einem dumpfen Knall wache ich auf, schade, dieser schöne Traum ist so plötzlich zuende. Was war das denn, dieser Knall? Neben mir liegt ein Buch und meine Mutti steht da und schreit „aua, ich habe mich gestoßen“. Und sie lacht dann und sagt, „sieh mal, was ich für dich erstanden habe, ein altes Buch, wo du doch so für Schottland schwärmst“.

Schnell setze ich mich hin und nehme das Buch in die Hand: es ist das Buch, das die Agnews mir im Traum geschenkt haben, wie ist das möglich?

„Wee Gillis“ von Munro Leaf und Robert Lawson. Es ist nach so vielen Jahrzehnten noch immer bei mir, und wenn ihr da mal reinschaut, könnt ihr die Lowlander und die Highlander sehen, wie sie leben, lebten in alter Zeit, ich weiß nicht, ob es noch heute so ist, heute im Jahre 2005. — Die schottischen Soldaten haben Hameln nach etwa zwei Jahren wieder verlassen. Später habe ich Schottland nur einmal kurz besucht und niemanden getroffen, die oder den ich kannte — wie sollte auch, da alles nur ein Traum war. Doch auf dieser Reise 1978 habe ich ein paar Fotos gemacht, und einiges in diesem Traum habe ich dort wirklich gesehen. Doch meine Träume über Schottland kommen von meiner uralten Vorliebe für Kilte und für farbige Kleidung. Und heute trage ich nur Röcke, viele mit schottischen Tartans, doch da meine Beine wegen einer alten Krankheit Bedeckung brauchen, reichen meine Röcke alle bis in die Mitte der Waden oder tiefer, und die Sitte mit den langen Strümpfen habe ich deswegen auch beibehalten, im Winter bunte aus Wolle, selbst gestrickt.

Dann nähte mir eine Freundin, Carry heißt sie, vollendete Röcke, die eine gewisse Ähnlichkeit mit echten Kilts haben — danke Dir! Dazu kaufe ich mir echte Tartans, unter anderem Buchanan, Flower of Scotland, Dawn (IR) …

Im September 2007 traf ich einen schottisch-deutschen Jungen, Samuel, der sah sofort, daß der Rock, den ich gerade trug, vom Tartan Buchanan ist, aber er sprach das Bjukännen aus, und sein Vater (und damit Samu auch) sei aus diesem Clan – das fand ich sehr schön, danke Samu. Nun ist die Familie nach Thüringen gezogen.

Im Jahre 1845 wurde von James Logan ein Buch veröffentlicht mir vielen bunten Bildern von Schotten im Kilt in Clan-Tartans, die Robert Ronald McIan entworfen hatte. Es heißt „The Clans of the Scottish Highlands“. Ihr könnt die einzelnen Bilder sehen in der Internet-Seite http://www.the-clann.co.uk/book/additions/mcian.htm . 100 Jahre später, 1948, gab es nochmal eine kürzere Fassung einiger Bilder aus diesem Buch in „Highland Dress“ von George F. Collie. Er beschreibt auch die Geschichte des zuerst genannten Buches. Unter http://www.the-clann.co.uk/book/highland_dress.htm könnt ihr mehr lesen. Dieses Buch habe ich, das von 1848 ist mir aber zu teuer, obwohl ich hoffe, daß es mal wieder nachgedruckt wird — heute, wie es wieder ein wenig in Mode kommt, daß Männer Röcke tragen, und viele von den heutigen Rockträgern tragen Kilte, andere Männer aber tragen andere Arten von Röcken mit schottischen oder irischen Tartans oder anderen Mustern, seht mal in die Internetseite www.rockmode.de und von dort weitere Links.

So, und nun werde ich anfangen, die Bilder zu meinem Bericht — erträumt oder echt — zu zeichnen, sie sind — außer dem Brückenbild — lange ersehnt, schon immer, seit meiner frühen Kindheit in den 1930er Jahren in Hameln. Das erste Bild mag es aber gewesen sein, das ich mit etwa 10 gesehen habe, und das den Anlass zu der ganzen Hinwendung meiner Fantasien gab.

Vieles habe ich in den schottischen Bergen erlebt. Besonders mit Jacky, den älteren Sohn der Agnews. Nach ein paar Tagen merkten Jacky und ich, daß wir uns liebten — so schlicht wie halbwüchsige Knaben sich eben lieben können. Das gab manche schöne Erlebnisse, und für mich war es der Beginn meiner Liebeskraft überhaupt.

Da erinnere ich mich an eine Tageswanderung zum Shehallion-Berg, erst mit einem besegelten Ruderboot über das Loch Tummel, dann zwei oder drei Stunden den Berghang hinauf. Mit vielen Pausen — Jacky ist einen Kopf länger, obwohl wir gleichalt sind. Einmal umfasste er mit seinen Händen mein Gesicht, „du bist so schön, ich muß deine — Wangen küssen, darf ich?“ — und bald küssten wir einander auf ganz süße Weise. — auch die Lippen, die Augen  . . . es war sehr schön, wunderbar . . . ich konnte mich hingeben . . .

Wie wir weiter stiegen, fragte Jacky, ob er meine Strümpfe fühlen dürfte, die Knie in den Strümpfen, und ich hob den Kilt etwas und zeigte sie ihm, und Jacky streichelte die Beine in den Strümpfen — was mir sehr genüßlich war.

Jacky strich die Beine immer höher, bis er den Rand des Strumpfes erreichte und meine nackte Haut berührte. Das war mir sehr wohl, seine kühle Hand  . . . und er sagte, „du bist wirklich ein sehr schöner Knabe! Wie schön, daß du auch wie wir einen Kilt angezogen hast.“

Wir legten uns in die Kräuter und wälzten uns miteinander und küssten uns wieder. Und wir schlangen unsere Arme einander um Hälse und Köpfe. Wie gesagt, es war ein steiler Hang, Wiese, Gras, Kräuter. Wir küssten uns voller Inbrunst und merkten kaum, daß wir etwas runterutschten, mit den umschlungenen Köpfen zuunterst, in ein verdeckendes Blättergebüsch. Unsere Kilts flatterten im Gras, und unsere Beine waren entblößt — außer meine dicken Stiefel und die dunklen Strümpfe, die meine Beine bedeckten. Alles war bloß, merkten wir erst nachher — und zurück im Agnew-Haus zog ich mir wieder meine Unterhose drunter, es war mir zu nackt gewesen da oben am Hang. Wie gut, daß niemand vorbei kam.

Bild 10 
ich küsse mich mit Jacky im Gebüsch, 
unsere Kilts sind sehr verrutscht, 
weiß leuchten unsere Unterhemden hervor.
Wir haben — zögernd und leise — unser Erleben
 den Agnews erzählt, und der Maler, der gerade 
zu Besuch war, hat dieses Bild gemalt.  
Schlichte Knabenliebe ohne Scham

1946: a German boy visits Scotland and falls in love
 with Jacky here they kiss hidden under a shrub. 
The German boy wears long stockings as it was then 
usual in Germany in cold season Jacky not.  
Simple boy love without shyness


Dann liefen wir juchzend den Hang wieder runter zur Bootslände, wo eine Familie angekommen war, die Mutter sprach deutsch. Unsere Kilts wehten. Das älteste Kind, ein Mädchen war in unserem Alter und trug ein hell-grünes Kleid. Die Mutter zeigte auf die Beine des Mädchens und sagte, „Irene trägt auch lange Strümpfe. Weißt du, was das bedeutet?“

„Vor zwei Jahren ging es ihr schlecht, sie fühlte sich so unsicher in ihrem Leben, auf dieser Welt, besonders hier im Ausland, pinkelte nachts ins Bett und weinte viel. Und in der Schule mochte sie nie sein. Im Sommer war das schlimmer, im Winter ging es ihr besser. Da riet uns der Kinderarzt, ihr lange Strümpfe zu geben, auch im Sommer, vielleicht dünne, aber beige oder braun, wie die Erde. Nicht lange Hosen, nicht nackte Beine.“

„Und magst du deine Stümpfe?“ fragte ich, „ja, sehr, das ist ein gutes Gefühl, möchte ich sogar im Bett anbehalten,“ sagte Irene. „Wie befestigst du sie?“ „natürlich mit Strumpfhaltern, was sonst. Und die habe ich am Strumpfhaltergürtel.“ — Ich merke, mit meinem Leibchen bin ich etwas kindhafter angezogen. — „Ich fühle mich sicherer, ruhiger  . . .“ Irenes Strümpfe waren ziemlich dunkel braun, wie die Moorerde hier.

Für mich entdecke ich, daß es mir ähnlich geht, meine Mutter wusste wohl von all diesen Dingen, als sie mir vor langer Zeit die Strümpfe anzog. Meine jüngeren Geschwister ziehen viel seltener welche an, vielleicht fühlen sie sich sicherer.

Wie Jacky und ich mit dem Boot wieder über das Loch Tummel ruderten, fühlte ich mich wohler — doch gegen die Unsicherheit der Wassertiefe (sind da Ungeheuer?) unter mir halfen die Strümpfe nicht, es muß schon Erde sein, oder Fels, große Felsbrocken. Jetzt verstehe ich endlich, was Mama ab und zu sagt, „du mußt schon richtig ja sagen zu deinen Strümpfen.“

Ein paar Tage später fuhr Frau Agnew mit uns Kindern in ein Nachbarstädtchen, mit dem sehr eigenartigen Namen Pitlochry. Sie wollte mir eine Weberei zeigen, wo die bunten Stoffe für die Kilts gemacht wurden. Die hatten auch einen Laden für dergleichen, schöne Stoffe, auch wollige Decken, sogenannte Plaids. Dann sah ich dort auch Schals und Strümpfe hängen, wohl für Mädchen, denn Jungs ziehen hier keine langen Strümpfe an, gehen lieber mit nackten Knien — oder manchmal sehr kleine Jungen, schwarze unterm Kilt. Die meisten Strümpfe im Laden waren bunt kariert, aber auch braune wie ich sie habe. Frau Agnew wollte mir welche anprobieren und kaufen. Das war mir hier im Laden etwas peinlich, meinen Kilt hochziehen und einen Strumpf vom Strumpfhalter lösen und ausziehen und einen anderen anziehen, doch ich tat es, im Stehen, und bekam ein neues Paar, auch braun, wie ich es wollte, ziemlich wollig — keine bunt karierten.

Das also war das Thema mit den Strümpfen an meinen Beinen. Die Kilte oder Knaben-Röcke war ein anderes, ein wenig auch das kindliche Erwachen der Liebesgefühle — angeregt durch diese offene Kleidung und einen anderen Jungen, Jacky. Wieso kam die Lust an den Kilts oder auch Mädchenröcken zu mir, als ich etwa 8 war. Das Bild in ATLANTIS kann es nicht allein gewesen sein. Das war einerseits die anerzogene Scheu, nur nie wie ein Mädchen auszusehen, also nie Mädchensachen tragen. Aber ich hatte auch den Reiz, gerade dieses Gebot zu hintergehen, nun gerade Mädchenkleidung anzuziehen. Doch da war mehr: Mädchenröcke haben etwas Freies an sich, der Wind weht unter den Rock und reizt die Lust des Körpers. Hosen engen die Körperfreiheit ein. Ein Kilt, also ein „Mädchenrock“ für mich als Knabe —  erlaubt in manchen Kulturen (später merkte ich, daß bis in die 1960er Jahre mindestens ein Drittel der Knaben und Männer auf der Erde Röcke trug, erst dann kam der schnelle Übergang zu langen Hosen, zu Jeans) — half mir, meine erotischen Gefühle zu erkennen und zu erleben. Diese Kleidung gehörte zu meinem inneren Ausdruck meiner Sensibilität, ich bin der, der sich hier so darstellt.

So erkannte ich, der Kilt wurde zu einem Mittel, mich selbst zu erkennen. Und ich bin froh, daß ich dieses Angebot meiner Seele so früh in mein Knabenleben übernahm.












Einige alte und neue Bilder aus dem Internet: Kilt mit langen Strümpfen.


von Aryaman Stefan Wellershaus
Ma.Aryafrau@gmx.de
Eingestellt von Aryaman, Dr. Stefan Wellershaus am 20.xii.2013
Labels: ein Hamelner Junge in Schottland 1946
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Donnerstag, 8. August 2013

Neuntens - die Entwicklung meiner Sensibilität






. . .  oder mit Liebe und Hingabe durchs Leben
ein nie vollständig werdender Bericht (neuster Stand  05.xi., 22.xi.2012, 14.v.2013, 24.vii.2014)

Wenn Dir die Schrift zu klein ist, klicke Strg und +,

wenn Du ein Stichwort suchst: Strg und F.


von Lars (mein Pseudonym) aufgeschrieben

Wichtige Einleitung: 
 hier versuche ich (Aryaman) mal, über wichtige Eigenschaften meines Wesens und Lebens zu schreiben. Nicht alles geschah genau so wie ich es hier beschreibe, aber einerseits ungefähr so und andererseits wie ich es für mich in meiner Seele gewünscht hatte – oder wie es zum Charakter meiner Seele gepasst hätte. Ich bin stets voller Sehnsüchte, weiß nicht immer, nach was. Manchmal wurden die Sehnsüchte gestillt, meistens aber hingen sie als wunderliche Bilder in stillen Ecken meines Lebens. Und beunruhigten mich. Und lenkten mein Tun, meine Fahrten und Reisen, mein Lesen, mein Fotografieren, Zeichnen und Malen, meine Freundschaften und Liebschaften . . . – das alles ist wohl nichts Außergewöhnliches. Doch für mich ist es etwas Besonderes, ist etwas Eigenartiges zu erleben.

Meine Seele, und dazu gehörig mein Geist, bekamen ja – wie es jedem Menschen ergeht – ihre Prägung in den ersten 20 bis 40 Lebensjahren. Deswegen schreibe ich hauptsächlich über diese Zeiten. In meinen 50er Jahren kam eine wesentliche Ergänzung hinzu: Bhagwan oder heute Osho. Gerade lese ich wieder einmal sein Buch „Goldene Augenblicke“ und finde, wie sehr ich, seit ich mit 53 sein Sannyasin bin, meinen nun ganz eigenen, besonderen Weg gehe – danke Osho! Und doch war dieser Weg keine Umkehr, ich wich nicht so sehr von meinen alten Wegen ab, nun wurde der Weg mehr wie ein abgeschossener Pfeil, geradliniger, straighter.

Nun bin ich fast 80. Wenn ich genau hinsehe bemerke ich, daß die Mitte meiner Lebenszeit früh in der Kindheit war, irgendwann zwischen 3 und 15. Ich meine den Zeitpunkt, als der größere Teil meiner Prägung geschehen war. Nicht alles, was mit und in mir damals geschah, kann ich aber erinnern. Deswegen bleibt dieser Teil etwas mager. Dennoch, mein Reichtum, meine Kindheit. Danke meiner Mutter und allen anderen.

Einige meiner Erlebnisse oder fiktiven Erlebnisse findet ihr in meinen Blogs – besonders unter „Frieda´s Liebe“ – die ihr hier aufsuchen könnt: http://www.mein-abenteuer-mein-leben75.blogspot.de/ , dort besonders Dreizehntens ....



MEINE  SENSIBILITÄT? . . .

. . .  und so sagte der englische Geiger Nigel Kennedy mal:  „It´s D minor and a fairly aggressive manner“ über den Chardas von Vittorio Monti: „das ist d-Moll – und eine recht agressive Art“. Und wie er uns den Chardas spielte, war das gewiß so. Und ich entdeckte mit diesem Spruch etwas für mich: so spielte sich mein ganzes Leben ab – vielleicht nicht gerade aggressiv, doch heftig. Und doch Moll. Nicht in gewöhnlicher Art. Doch das mag mancher Mensch von sich denken.

Als 1945 der Krieg vorüber war, da war ich 12, und ich konnte mich sehr glücklich schätzen, denn ich denke, ich war eines der wenigen Kinder in Europa, die vollständig unbeschädigt aus dem Krieg hervorgingen. Nur habe ich das damals noch nicht gewußt, aber später kam mir langsam die Erkenntnis und die Dankbarkeit. Und ich konnte es genießen.

Gewiss, es gab danach ein paar Einschränkungen, besonders die Kinderlähmung (Polio) mit 20 (seht hier: http://verantwortung-fuer-mein-leben-polio.blogspot.de/). Und dann etwas, das mich einerseits schmerzte, aber das ich später als nur richtig anerkannte: in meinen 20er Jahren die Schwierigkeit, eine Liebschaft mit einem Mädchen entstehen zu lassen, meine Scheu. Es gab also kaum eine Liebesbeziehung in meinen zwanziger Jahren. Schon gerade keine tiefe.

Mit elf, noch im Dritten Reich, hatte ich ein gutes Erlebnis. Wie alle Kinder ab 10 (außer Ausländern, Juden und Zigeunern) war ich (verpflichteter Weise) Mitglied der Nazi-Kinderorganisation „Deutsche Jugend“ (DJ, Pimpfe). Im Sommer 1944 hatten wir für ein paar Tage ein Zeltlager mit etwa 20 Knaben auf einem Berg bei Hameln. Jeden Tag musste eine große Kanne mit Milch aus dem benachbarten Gut Helpensen geholt werden, ich „meldete mich freiwillig“, wie es damals hieß, und ging mit einem anderen Jungen die Milch zu holen. Wir mussten die schwere Kanne den Berg auf einem schlüpfrigen Pfad hochschleppen. Diese Aufgabe für die Gemeinschaft hat mich sehr beeindruckt, prägte vielleicht mein soziales Gewissen.

Später sagte meine Mutter mal, wenn ich als militärischer Helfer (Flakhelfer) verpflichtet worden wäre, hätte sie sich geweigert, hätte mich versteckt oder so was. Dieses hat mich sehr beeindruckt, zeigte es mir ihren Mut, gegen das kriegerische System anzugehen, falls es notwendig würde. Obwohl sie sich bis dahin nicht merkbar gegen die Nazis gewendet hatte.

Selbst in unserer gut situierten Familie waren die Monate nach dem Kriegsende schwierig, und ich habe wohl einige Male wieder ins Bett gepinkelt, vielleicht eine unbewußte Reaktion auf manches Schwierige im Umkreis. Auf Anraten eines Arztes hat meine Mutter mir wieder bein-lange Strümpfe gegeben, und da begann meine Zuneigung zu dieser Kleidung. Heute denke ich, daß der Arzt tiefer in meine Seele schauen konnte als meine Mutter und wusste, was ich brauchte, und für mein ganzes Leben Recht behalten hatte. Und ich blieb bei den Strümpfen, obwohl ich mich damit außer der damaligen Knabensitte stellte.

Nach dem Krieg wanderte ich viel in den Wäldern des Klüt-Berges oberhalb der Stadt umher, besuchte auch diesen Zelte-Platz wieder. Doch bald war da nicht mehr die Lebendigkeit der Zeltlager-Tage, war alles zugewachsen. Sonst waren die Dienste bei den Pimpfen langweilig gewesen, und glücklicherweise nicht politisch. – Ich wanderte im Wald auch mit einer meiner Schwestern umher und mit meinem geliebten Freund Stefan. Bei diesen Wanderungen begannen meine erotischen Gefühle lebendig zu werden. Meine Schwester und ich küssten uns gerne frei, und wir freuten uns aneinander an unseren Körpern (auch später als Erwachsene noch). Das waren wohl die Vorbereitungen für die erotischen Spiele mit Stefan, meinem langjährigen liebsten Freund.

Bild 01: Neulich fand ich im Internet ein Foto von einem Buben, dem ich mich sehr ähnlich fühle, hier seht ihr meine Abzeichnung von ihm, gewiss etwas ein Ideal, ich war schwächer als er. (Foto 1929 Zürich), seht auch das Bild in der Ersten Ergänzung am Ende dieses Aufsatzes.

Gleich nachdem die Kriegskämpfe vorüber waren schickte meine Mutter mich in eine Schlosserei als kleiner, 12-jähriger Praktikant – das war eine große Erfahrung! Kleiner Praktikant – große Erfahrung! Glühendes Eisen, Schweißen, Feilen, Hämmern  . . . fliegende Funken, die auch mal ein Loch in meinen Strumpf brannten, oben am Schenkel. Der Strumpf hatte den Schenkel geschützt, und aus Dankbarkeit hängte ich den Strumpf – zusammen mit seinem verdienstlosen Bruder
 an die Wand über meinem Bett und schmückte ihn mit einem Efeuzweig. – Leben als Kind am Amboß! Schwingen des Hammers, glühendes, weiches Eisen, schützende Strümpfe! Harmloses Schrauben, Alteisen wieder irgendwie in Dienst stellen, Werkstatt fegen.

Vorhin zeige ich einer jungen Frau diese Zeichnung und das Foto dazu und sage, das habe ich gezeichnet, weil ich mich ihm ähnlich fühle – da sagte sie, „das wollte ich auch gerade sagen, ihr seid euch ähnlich“ – obwohl sie mich nur als alten, weißbärtigen Mann kennt und nie alte Kindfotos von mir gesehen hatte.

In meiner Opposition gegen die gesellschaftlichen Muster wehrte ich mich gegen die Versuche, mich auf mein späteres Mann-Sein vorzubereiten. Die Schlosserei hatte was zu tun mit dem 12-jährigen Knaben Lars – nichts mit dem irgendwann mal Schlosser werden, stark werden oder so was. Ich verstand schon mit 12, daß ich so leben wollte, wie ich in diesem Zeitpunkt gerade war, meinem eigenen Wesen entsprechend, deswegen die Gegenwehr. Das Stärkste, das ich in der Richtung erfuhr war der Zorn einiger Knaben meines Alters über die militärischen Kriegsspiele, wir fanden einen deutschen Soldaten-Stahlhelm – ein Symbol für Männlichkeit – und pinkelten alle hinein. Einer, der etwas älter war, sagte,  „ich habe gesehen, wie schrecklich die Soldaten sind, und grausam. Habe es als Bauernkind in Litauen erlebt. Die Russen waren nicht anders, aber ich fühle mich verantwortlich für uns Deutsche.“

Meine erotischen Gefühle in der Jugendzeit entsprachen überhaupt nicht den bekannten (gesellschaftlich definierten) Mustern der Männer, meine Hinwendungen richteten sich kaum an Mädchen – mit einer Ausnahme, das könnt ihr unten lesen. Doch meine Erotik (ich schreibe hier nicht von Sexualität, das ist für mich etwas ganz anderes) war sonst sehr vielfältig, die Frauen aber sah ich erst Jahre später mit Freuden an und begann erst dann, sie tiefer zu lieben. Ich liebte mich selbst, liebte meine Gefühle, liebte meine eigene weibliche Seite in meiner Seele, obwohl ich das damals nicht hätte ausdrücken können, liebte meinen (jugendlich-schönen) kindlichen Körper. Ich liebte meine Kleidung – so weit diese damals (in den 1950er Jahren und danach) überhaupt „liebesfähig“ war und nicht schlicht langweilig und grau. Doch es gab Ausnahmen, seht hier:

 Bild 02: Schottenknabe im Kilt, gemalt von R.R.McIan, in „The Clans“ 1845


MEINE  BUNTEN  RÖCKE

Als ich etwa acht war, begegnete mir das Bild eines vielleicht 13-jährigen Knaben im schottischen Kilt, ein bunter Rock mit vielen Falten, das Bild habe ich später wieder gefunden, eine farbige Kopie hängt in meinem Zimmer, und eine Kopie lege ich oben bei. 

So begann meine Liebe zu Röcken. Die ich gerne selbst tragen wollte . . . und Jahrzehnte später wurden lange, bunte Röcke meine täglichen Kleidungsstücke. Als Kind tag-träumte ich nur davon und freute mich mit 13 sehr an den bunten Schottenröcken, die britisches Militär, das für einige Zeit in meiner Heimatstadt stationiert war, als tägliche Uniform trug, der sogenannte „Kilt“. Einige waren mit ihren Familien gekommen, darunter auch Knaben meines Alters, die zeitweilig den Kilt trugen – ein Junge im Rock, das war meine Sehnsucht für mich – und blieb es mein ganzes Leben.

Dann, noch mit 13 – kurz nach dem Erlebnis mit den schottischen Soldaten –, schickte meine Mutter mich in ein Knaben-Internat in der Rhön. Wo ich bis zum Abitur blieb, außer den Ferien zuhause. Das war die schönste Zeit meiner Jugend – auch weil ich zusammen mit Stefan, meinem liebsten Freund, hinzog. Wir wohnten zusammen meistens in derselben Kammer. Und,  ich musste nicht mehr unter der Enge der kinderreichen Familie mit all dem Gekreische der Geschwister leiden. Die jüngeren Schüler im Internat kreischten auch manchmal, aber nicht so viel wie meine kleineren Schwestern.

Sehr schön war hier die viele klassische Musik, die wir hörten und selbst machten. Mein Hobby war dabei das Singen, ich hatte eine sehr klare, recht hohe Stimme und wurde oft herangeholt, um Sopran-Solostücke vorzusingen. Das hat mich sehr begeistert, ich freute mich an meiner Knaben-Stimme und genoß es, wenn die Älteren und die Erwachsenen mir fast begierig zuhörten. Das hatte erst mit fast 17 ein Ende, als sich meine Stimme senkte, zu meinem Leidwesen. Auch Blockflöte hatte ich ein wenig gelernt, und meine Sopran-Flöte wurde dann der Ersatz für meine eigene Stimme, manchmal habe ich die Flöte einfach nur mit einem geliebten Ton lang angeblasen. Meine tiefe Stimme mochte ich erstmal nicht, es war vorbei mit meinem Singen. Doch ich hörte den Jüngeren gerne zu. Erst während des Studiums habe ich wieder etwas gesungen, im Segler-Verein haben wir Shanties gesungen, rauhes Werk!

Mein Freund Stefan hatte schon früher seinen Stimmbruch, doch aus Liebe zu mir wollte er wieder heller sprechen und singen, was ihm nicht recht gelang, aber ein wenig schon, wenn nur wir zwei ganz gelassen zusammen waren. So groß war unsere Liebe. Und hat mir gezeigt, was Liebe in meiner Seele macht. Grundausbildung in Liebe im weitesten Sinn!

Da war noch ein jüngerer Junge, der viel besser als ich sang, in seinem „Knaben-Sopran“ wie der Musiklehrer sagte. Da war ich schon fast im Abitur, und dieser Emanuel in der Tertia sang so gut und klar und hell, daß den Erwachsenen Tränen kamen, auch mir (Unter- und Ober-Tertia nannte man die Klassen 5 und 6 der Oberschule, alte lateinische Begriffe, ich liebte den Latein-Unterricht, wenn auch meine Latein-Zensuren mäßig waren). Ich mag das. 

Als unsere Klasse mal ein Theaterspiel einübte, sollten ein paar Jungen Mädchenrollen übernehmen, das war eine große Sache für mich: Mädchenkleidung, und ich habe mit viel Lust diese ganzen Dinge getragen, auch eine Perücke mit Zöpfen, so wie es im Film „das fliegende Klassenzimmer“ (der erst später kam) geschieht. Auch Spitzen-Unterwäsche. Der Mädchen-Rock ähnlich wie ein Schotten-Kilt, doch eigentlich nicht recht jungenhaft geschnitten, sollte es ja auch nicht sein. Ich verehre Mädchen und Frauen, schon als Kind,  und ich habe nie herablassend auf die Mädchen hinab gesehen - wie die meisten anderen Knaben. Ich habe den Mädchen gerne nachgeeifert - deswegen meine Freude an Mädchenkleidung.

All´ das trug ich auch im Unterricht ein paar mal und hatte Spaß daran, auch manchmal Ärger wegen der anderen. Ich musste lernen und erleiden, wie viele Knaben die Mädchen in hässlicher Art ansahen. Ich forderte sie heraus, indem ich die Mädchenkleidung immer wieder trug und die Spötter beschimpfte. Eine Lehrerin mochte meine Tour, denn sie fühlte sich auch zuweilen als Frau herabgesetzt.

Doch schöner als meine Mädchenrolle im Theaterspiel war die zweiwöchige Rad-Reise mit Stefan in Mädchenkleidern, wir beide ganz als Mädchen „ver-“kleidet. Das habe ich in einer Geschichte schon beschrieben, die ihr hier lesen könnt: „Tantra mit 15“, http://tantricum.blogspot.de/2009/08/jugendliche-tantra-erlebnisse.html , doch da hatte ich für uns andere Namen gewählt. Unten lest ihr mal ein kurzes Stück der Geschichte.

Nach der Radwanderung hatte ich viele Erlebnisse in der Rhön, bin oft allein umhergewandert. Habe Tiere beobachtet, was mir manchmal etwas unhöflich vorkam. Da habe ich auch den Revierförster Kirchner kennen gelernt, sein Sohn Götz war in unserer Klasse. Der Vater schoß Tiere, was ich gar nicht mochte, stellte mir immer vor, wie schrecklich es sich für das Tier anfühlt, so schwer verwundet zu werden und dann zu sterben. Einmal kam ich dazu, wie er ein Reh tot schoß, da war ich so traurig, daß ich mich in ein Gebüsch setzte und weinte, bestimmt eine halbe Stunde lang. Doch wütend angeschrien habe ich ihn nicht, dazu fühlte ich mich zu klein und schwach. Ja, Männer und Töten - der lange Krieg. Mein Vater aber hat nach dem Krieg keine Tiere mehr geschossen, „es ist schon lange zu viel mit dem Töten,“ sagte er.

Manche Lehrer mochten uns Knaben besonders gerne, und ich kann mich erinnern, daß ich das bei einem der Lehrer ein wenig ausnutzte. Es war Ende der 1940er Jahre, in denen Heizmaterial schwer zu bekommen war, und es wurde in der Schule nicht wirklich warm geheizt, und es gab oft nicht richtig warmes Wasser zum Duschen. Dieser Lehrer wohnte in einem Häuschen etwas den Berg abwärts unterhalb des Internats, und er verstand es, immer Brennholz zu haben. Ab und zu machte er für ein paar von uns Buben (wie er uns als Schweizer nannte) Badewasser warm, und wir badeten bei ihm in einem metallenen Waschzuber. Ich wusste, daß er mich gerne nackt sah, und aus Dankbarkeit für das Bad lief ich in seinem warmen Häuschen nackt umher. Mir machte es Spaß und ihm wohl auch. Es entstand eine gewisse Liebe zwischen uns. Ich sah ihn nie nackt, und es wäre mir auch nicht wichtig gewesen. Wenn ich zum Baden zu ihm den Berg hinab ging, zog ich mir meine Mädchenkleidung aus dem Theaterstück an – bis sie mir zu klein geworden war.

Bei diesem Lehrer traf ich gelegentlich einen alten Mann, ein Freund von ihm vielleicht. Er sagte uns Buben allerlei wichtige Dinge, zum Beispiel, 

„ . . .  euch rede ich mal vom Mann-Werden – denn es wird euch so viel davon gesagt, daß ihr mal Männer werden sollt. Und schon mal dahin leben sollt.“

„– ein Mann hat vier Lebensphasen. Zuerst ist er ein kleines Kind, wie ein Mädchen auch. Als Zweites kommt die Jugend, etwa ab acht oder zehn. Denkt an das Märchen „der Eisenhans“: der Königssohn war gerade acht, als auf dem Schloßhof ein Käfig aufgebaut wurde und ein Ungeheuer darin eingesperrt wurde, genau, der Eisenhans. Der achtjährige Prinz spielte auf dem Hof mit einem goldenen Ball, der aber in den Käfig rollte. Er bat den Eisenhans, ihm den Ball wieder zu geben, doch der weigerte sich und wollte zuerst, daß der Junge den Käfig aufschloß, der Schlüssel läge unter dem Kopfkissen seiner Mutter. Das tat der Prinz, der Eisenhans ging weg, und der Junge bekam Angst und bat, ihn mitzuehmen. Das war das Ende seiner Kindheit, seiner goldenen, sorglosen Kindheit. Goldener Ball weg, Mutter betrogen und ihr Vertrauen weg, die Sicherheit des elterlichen Schlosses weg, eben, die goldene Kindheit weg  . . .“

„Der Beginn seiner Jugend, in der der Junge lernte, sich seine Persönlichkeit aufzubauen – unter Schmerzen und mit Problemen, und mit vielen ersten, feinen Einsichten in sich selbst, in „sein Selbst“ wie man auch sagt. Später ist er dann erwachsen mit all den Taten und Erlebnissen der langen Jahre, und  dann die vierte Phase ist das Alter, mit den gesammelten Erfahrungen des Lebens und der Weisheit. Da bin ich gerade. Doch darüber schweigt das Märchen.“

 „Ich habe gesagt, unter Schmerzen. Immer wieder erlebe ich, daß Knaben und junge Männer voller Sehnsüchte sind, oft wissen sie nicht, wonach sie sich sehnen. Was magst du dazu sagen?

Ja, das kenne ich. Zum Beispiel habe ich Sehnsucht nach Musik, große Sehnsucht. Ich spiele ja kein Instrument wirklich, aber ich habe Sehnsucht danach. Wenn ich unsere Leute klassische Musik  spielen höre,  dann die Sehnsucht. Besonders barocke Musik, Bach und so. Neulich waren wir in der Stadt zu einem Konzert, ein Knabenchor, Bach-sche Musik, und da habe ich eine solche Sehnsucht bekommen, daß mir während des Konzertes die Tränen flossen. Und ich schluchzte so sehr, daß mein Nebenmann mich verwundert ansah und sein Taschentuch gab. Es war mein Freund Stefan, er sitzt hier. Ja, was hast du da gedacht?


 „Na ja, ich kenne dich ja, du ziehst mich immer wieder mit, wenn du so in deinen Sehnsüchten bist, in deinen Stimmungen. Ich habe ein wenig angestrengt auf die Musiker geschaut, damit mir nicht auch die Tränen kamen. 

Ich vermisse was, ich vermisse das Musikalische in meinem Tun, nicht nur zuhören. Ich wünsche mir immer, daß ich schon seit früher Kindheit ein Musikinstrument gelernt hätte. Doch irgendwie wurde das nichts, weiß nicht wieso. Vielleicht waren meine Eltern da nicht zielbewußt genug,  doch ich will nicht anderen Menschen die Schuld geben. - Und es kamen mir wieder ein paar Tränen.  - Einmal kam ein Lehrer für Holzbläser in die Schule und bot Unterricht an. Ich dachte, das ist DIE Möglichkeit, und er reichte mir schließlich eine Oboe, wohl das Schwierigste. Und bald gab ich es wieder auf. Hätte er mir Klarinette gegeben, wer weiß?

Der Mann fuhr fort: „Und nun seid ihr in der zweiten Phase, mitten drin. Und diese Jugend-Phase ist sehr kurz, nur wenige Jahre.Voll der täglichen Wandlung, des täglichen Wachsens. Genießt sie. Es ist etwas Besonderes, was nie wiederkommen wird. Ihr seid keine Männer, keine Kinder. Ein jugendlicher Junge und ein jugendliches Mädchen sehen sich äußerlich doch sehr ähnlich. Oft ist es nur die Kleidung, die es leicht macht zu erkennen, ob da ein Mädchen oder ein Junge steht. Im Wesen sind sie aber sehr verschieden. Selbst wenn du gerne mal Mädchenkleider trägst – wirst nie ein Mädchen.“

„Das ist das eine ganz besondere Zeit, die ihr sehr nutzen solltet. So vieles wird nicht wiederkommen, wenn ihr erwachsen seid.  Jugendliche Knaben, sage ich mal, sind wie eine eigene Art von Mensch-Sein. Ebenso wie die anderen Phasen auch. Den Knaben gibt es nur einmal, ganz kurze Zeit, wenige Jahre.“

„Lars, du rufst starke Erinnerungen in mir hervor. Als ich so um die fünfzehn war, erreichten mich diese Sehnsüchte auch. Es war so, ich sah die Spitze meiner innersten Kultur, will ich mal sagen, ich konnte Dinge tun wie  eben mit klarer, heller Stimme – singen und die Menschen mitreißen. Doch so schnell war das wieder vorbei, mit dem Stimmwechsel. Ich sehnte mich nach der Ewigkeit, doch die war da nicht.

Und was ist nun das Besondere daran? frage ich ihn. Oder: und was sollten wir genießen? Doch ja, ich weiß, etwas ähnliches hatten Stefan und ich mal, in unserer Liebe, zusammen fielen wir in die Ewigkeit, in unserer tiefen Umarmung ... – genießen ist vielleicht zu schwach ausgedrückt, im Vergleich mit der Ewigkeit.

„Das kannst du wohl erst erkennen, wenn du älter bist und die anderen, Jüngeren etwas von Weitem ansehen kannst. Die Natur hat es eingerichtet, daß wir Frau und Mann erst dann vollständig unterscheiden können, wenn ihr erwachsen seid.“

„Besonders ist wohl: ein Junge lernt fast täglich ein Stück mehr von der Freiheit, die er ersehnt. Und der Junge kann sehr kreativ sein, weil er dauernd den Wandel in sich spürt und gerade nicht weiß, was er damit machen kann. Seht euch das ganz genau an, beobachtet euch selbst. Ihr seht doch, ihr beginnt immer wieder was Neues, was gänzlich Neues. Mozart hat zwar in dieser Zeit schon Sinfonien komponiert, doch so weit müsst ihr nicht gehen. Doch etwas Neues kommt gewiß, täglich.“

 „Ach nein, die Freiheit ist es nicht allein. Gleichzeitig, mit dem Gewinn der Freiheit der Verlust dessen, was du in dem Konzert erlebtest, deine klare, helle Stimme dieser Jahre, und der große Einfluß auf die Leute mit dieser Stimme. Und das verliert sich, oder wie es seit Alters heißt, der Verlust der Jugend. Tut mir leid, daß ich euch das so sage, Verlust. Und ich kann euch nicht mal einen Ersatz anbieten   wer weiß, was in den nächsten Jahren kommen wird.

Hätte ich mich nur mehr der Musik gewidmet, vielleicht wären die f0lgenden Jahre voller geworden, echter.  


Ich, Lars, möchte mal klar machen: ich mag das Wort „Knabe“ sehr, es strahlt, doch „Junge“ oder „Bube“ sind langweilig, etwas verstaubt. Ein Knaben-Chor, ein Knaben-Sopran,  eine  Knaben-Schule - das ist alles etwas Besonderes.

„Knaben sollten so leben, wie es zu ihnen in diesem Moment passt – selbst wenn einer nicht erwachsen werden will – oder wenn du Mädchensachen tragen willst – obwohl du den Regeln nach ein Junge bist. Und wenn du die Mädchen verehrst. Das ist etwas sehr Wertvolles.“ 

Welche Regeln? Wieso Regeln?

„– du weißt doch, du kennst doch diese Regeln. Du erlebst doch, was passiert, wenn du ein Mädchenkleid anhast, wie die anderen lächeln, herablassend. Geh mal so in die Stadt, wo dich niemand kennt und doch irgendwie sieht, daß du ein Junge bist, was du da zu hören bekommst: ein Junge im Kleid!  Spöttisch. Und da reden die anderen nach den allgemeinen Regeln, machen sich abhängig von den Regeln der Gesellschaft. Das geht so weit, daß ein Pastor sagt, das hätte Jesus nie zugelassen, oder, die Natur will das nicht so – alles solche Sachen. Sie wollen auch dich abhängig machen.“

Ich kenne das, doch es stärkt meinen Oppositions-Willen.

Erwachsen werden wir alle aber doch automatisch – doch wenn ich nicht will?

„Ja, da habe ich wohl übertrieben. Doch sollen die Knaben ja Männer werden, sollen, sage ich, weil – unsere Gesellschaft will das so. Ich sehe ja, daß du auch gerne Mädchenkleider anziehst, oder? Das sollte dir für dein ganzes Leben gegönnt sein, Mädchenkleider sind so viel schöner als die Männerkleidung – trage ich auch, wenn ich zuhause bin. Wie du jetzt bist, kannst du das wirklich genießen, weil du schnell wie ein Mädchen aussehen kannst – in diesen Sachen, und deinem Alter. Doch wie ich sagte, die Gesellschaft will einen Mann aus dir machen, und da mußt du gehorchen. Sie braucht viel mehr Männer als Knaben.“

Muß gehorchen? Dazu passt ein altes Sprichwort, das uns unser Lateinlehrer beigebracht hat:  ETIAM  SI  OMNES  –  EGO  NON  – auch wenn´s alle machen, ich nicht.

Als ich jünger war, sagte mal jemand, „du bist ein Kind, sei ein Kind und nichts anderes. Sag es den anderen, wenn sie zu viel von dir wollen, sag´,  ich bin doch ein Kind.“  Das spüre ich noch tief in mir, dieses So-Sein wie ich bin. Und da entstand in mir der Satz , „ich bin Lars, ich bin Lars, ich bin Lars.“  Wunderbar, auch das spüre ich noch immer. Manchmal ging ich allein durch die Wälder und murmelte das immer wieder vor mich hin.

Stefan hatte zwei Großmütter, die eine wohnte in einem wunderschönen Haus in Bielefeld. Ihr könnt einige alte Fotos davon sehen, wenn ihr im Google-Maps beim Albrecht-Delius-Weg 2 schaut. Wir besuchten die alte, vornehme Dame einmal für zwei Wochen in den Herbstferien, und sie fragte uns nach unseren Wünschen. Wir waren etwa fünfzehn, und ich hatte den Wunsch, meinen Schottenrock tragen zu dürfen. Das hat sie sehr erfreut, „ich freue mich über deine Freiheit, Lars,“ sagte sie. Und wenn sie in die Stadt zum Einkaufen ging, begleiteten wir sie und trugen die eingekauften Sachen. Viele Häuser von Bielefeld waren noch sehr zerstört vom Krieg, und es war sehr staubig und grau. Ich hatte das Gefühl, daß ich mit meinem klar-bunten Kilt einen starken Eindruck in den Trümmern hinterließ. So wurde das Bunte in meiner Kleidung immer wieder wichtig in meinem ganzen Leben. Der Ausdruck meiner Kleidung!

In dem Haus wohnte auch eine große Familie, deren Haus kaput war. Zwei Jungen in meinem Alter begeisterten sich an meinem Schottenrock und hätten auch gerne so etwas getragen. Doch der Vater war sehr streng dagegen, „ihr wollt doch nicht etwa wie kleine Mädchen aussehen,“ sagte er. Das habe ich nicht verstanden.


Vor ein paar Tagen schenkte mir ein junger Mann einen schönen Rock, doch leider war er zu eng für mich. Um den Rock zu ehren hängte ich ihn auf einen Bügel: 






LANGE  STRÜMPFE
Außer den Röcken liebte ich es seit meiner Kindheit, lange Strümpfe zu tragen, wie ich es auf beigefügten Bildern zeige, zum Beispiel im Bild 01. Das war damals bei Kindern üblich – Frauen trugen sie ebenfalls immer, wenn auch anders, und sie hatten meistens Feinstrümpfe oder feine  Baumwollstrümpfe. Kinder bekamen meistens dickere, braune oder beige Wolle- oder Baumwollstrümpfe, Mädchen eher längere, Knaben eher etwas kürzere, aber immer über die Knie hoch gezogen – und mit Strümpfe-Haltern befestigt, damit sie schön stramm saßen, nicht auf die Füße rutschten. Wie ich das auf den Zeichnungen vorstelle. Habe ich alles aus der Erinnerung und nach alten Fotos gezeichnet. Diese Strümpfe liebte ich sehr, nicht nur an meinen eigenen Beinen sondern auch bei den anderen Kindern, ich habe das schon erwähnt. Sie sind mein geliebter Fetisch für alle Lebensjahre geworden. Mehr Zeichnungen gibt es hier: http://kinderstruempfe-lang.blogspot.de/ . Und hier: http://www.flickr.com/photos/aryaman-stefan/  und klick oben „sets, dann das Bildchen „Long stockings for children in Middle Europe“, dann suche Bilder raus, die Du vergrößert sehen willst. Unter dem Bild stehen ein paar Worte zur Erklärung und vielleicht Kommentare. Unten rechts kannst Du weitere Bilder dieses „setsanklicken.


Im Internat gehörten die langen Strümpfe zu einer Art Schul-Uniform für die jüngeren Knaben bis zum Ende der Obertertia-Klasse, da waren wir um die 14. Sie waren immer schwarz, zu kurzen Hosen, sehr altmodisch und nicht von allen geliebt. Jedenfalls mussten wir sie während des Unterrichts tragen, im Winterhalbjahr, auch weil die Schule nicht gut geheizt werden konnte, Brenn-Material war damals schwierig zu bekommen.

Sonst waren die langen Strümpfe voller Emotionen: manche mochten sie gar nicht und begehrten dagegen auf, andere Schüler – wie ich – mochten sie sehr gerne. Wenn sie nicht lang genug waren, „blitzten“ oben die nackte Haut oder die Strumpfhalter oder gar die Unterwäsche heraus, was peinlich war und zum Spott der anderen Kinder führte (unser Schulleiter nannte uns alle bis zum Abitur  „Kinder“). Aber auch freudig ein erotisches Gefühl verursachte. Ich erinnere mich, wie ich einem anderen Jungen nachschaute, wie er nicht nur seine langen Strümpfe wieder hochzog – sie waren gerutscht –, sondern wadenlange Gummistiefel anhatte, und das alles fand ich sehr erotisch-schön (obwohl ich das damals noch nicht so erklären konnte). Er aber verspottete mich, „du magst wohl gerne meine Beine ansehen,“ und ich wurde verlegen und schämte mich meiner Gefühle. Doch sie blieben bis heute. Ich liebe es, Beine anzusehen.

Gerade Knaben fallen oft hin und rissen Löcher in die Knie der Strümpfe. Wir stopften unsere Strümpfe selbst, und dabei kamen dann solche wilden Stopfstellen heraus wie auf dem Bild 03. Ich blieb auch nach der Obertertia bei diesen Strümpfen, als einer der wenigen. 



Bild 03: Beispiel: auf diesem Bild habe ich 
einem Zürcher Buben (im Foto 1946, da waren seine Strümpfe heil) einen 
gestopften Strumpf und einen mit Loch angezogen.
Unten ein wildes Strumpf-Gestopfe.


Ihr seht auf vielen Bildern, daß zwischen den Strumpfrändern und den kurzen Hosen oder Röcken – bei den Mädchen – (oder den Unterhosen) oft etwas Nacktheit war, hier konnten wir mit tastenden Händen unsere Schenkelhaut fühlen. Gerade hier, an den Innenseiten, sind die Schenkel ja besonders gefühlig, ja erotisch. Das gehört zu den erotischen oder erogenen Zonen eines Menschen – in jedem Alter. Und nicht selten haben wir unseren eigenen Körper hier berührt, ohne von den Zusammenhängen zu wissen – nicht selten, wenn wir auf der Straße unsere Hände von oben zwischen die Strümpfe und die Schenkel steckten – Bild 04, wie wir sie sonst in die Hosentaschen taten –, und mehr noch in der Schulbank, wenn wir die Haut streichelten. Das waren die großen Erfahrungen unseres Körpers, so lernten wir ihn kennen,  abgesehen von den Körpererfahrungen im Sport, Wandern, Frieren, Schwitzen, Zittern, Rangeln . . .

 Bei den Mädchen war es kaum anders. Doch während meiner Internatszeit habe ich Mädchen nur selten gesehen, am ehesten in den Ferien zuhause.



Ich liebte es, mich an den nackten Schenkeln zu streicheln, nachdem ich meine Hosenbeine etwas hochgezogen hatte. Besonders schön, wenn es in der Schule langweilig war. Da war ich meistens sehr aufmerksam bei meinen Gefühlen – erste Schulung der Achtsamkeit.


Bild 04: manchmal war es gut, daß die Strümpfe 
nicht so lang waren wie bei manchen Mädchen,
hier zwei andere Knaben jener Zeit.

Viel wanderte ich ja in der Umgebung der Internats-Schule umher, und es war an einem Nachmittag, als ich in der Nähe des Internats durch ein benachbartes Dorf ging, da streichelte ich mich im Spiel, und berührte weiter oben in den kurzen Hosen meine Hoden, fast versehentlich. Wie ein Blitz entstanden ganz starke und neue Gefühle in meinem Unterkörper. Verlegen versteckte ich mich in einem Vorgarten hinter einigen Büschen und streichelte die Hoden weiter, und dann geschah wieder etwas Neues: mein Unterkörper begann zu zittern, das war wahnsinnig schön, ich konnte nicht wieder aufhören, lehnte mich an einen Baum, presste die Augen zu und erlebte sehr genau, wie es weiterging, fast ohne Besinnung, ich erfuhr nur dieses.

Der letzte Rest meines bewußten  Seins war voll in meiner Handlung und in diesem heftig zitternden Unterkörper. Und dann kam wieder etwas Neues: irgendetwas floß aus mir heraus und am Bein hinunter, machte den Strumpf nass, und ich war sehr verlegen, denn ich kannte das nicht, wusste nicht, was das alles war. Dennoch war das ein sehr großer Genuß in meinem Körper. – Von nun an schaute ich in Gedanken sehr oft auf meinen Unterkörper. Meine Sinne lebten nicht mehr nur im Gesicht (Augen, Nase, Geschmack, Hören) sondern auch dort, wo ich diese neuen Erfahrungen gemacht hatte – waren nach unten gewandert. 


Bild 05: die Mädchen hatten´s ebenso,
– in der städtischen Schule
 gesehen

Mit meinen lieben Freund Stefan war ich viel zusammen, und wir streichelten einander, in den Gesichtern, meistens an den Beinen, besonders dort, wo die Strümpfe freien Raum ließen. Doch nur im Geheimen, in unserem Zimmer oder wenn wir im Wald waren. Auch küssten wir uns manchmal, Küssen ist ja etwas sehr Intimes, mochten wir nicht in der Öffentlichkeit tun (wie heute eher üblich). 

Zum Streicheln mussten wir nicht Strümpfe über´s ganze Bein anhaben, doch es war schöner, und in langen Hosen ging das nicht. Wegen all´ dieser Dinge habe ich diese Art Strümpfe so gerne, noch immer, in seliger Erinnerung. Von meinen neusten Erlebnissen mit meinem Körper habe ich Stefan erzählt, und wir streichelten nun einander unsere Schenkel und die Hoden und reizten unsere Körper bis wieder dieses Zittern kam und das Flüssige – zuerst kam es aus Versehen, doch als wir es absichtlich tun konnten, lernten wir unsere Strümpfe etwas runter zu rollen, und Papiertücher dabei zu haben.

Stefan erzählte mir ein paar Tage später von einem Jungen, der ein Mädchen liebte, und die beiden taten sich einander solche guten Dinge. Da durfte er sie natürlich unter ihrem Kleid anfassen, was sich ja sonst nicht gehört.

Als ich größer wurde, blieb ich bei den kurzen Hosen und langen Strümpfen – ganz anders als die anderen Jungen, doch meine kurzen Hosen wurden länger, etwa so wie auf dem  Bild 11, auch später während des Studiums, zuerst in Bamberg, mit Stefan, er Biologie, ich Geologie. Nur wenn ich mit Stefan zusammen in die Wälder ging, zog ich die ganz kurzen Hosen an. Beim Skifahren auf der Wasserkuppe (Berg in der Rhön) aber auch in diesen Hosen und Strümpfen, oder gar zwei Paar übereinander, aus Wolle. Ähnlich wie im Bild 06.


Bild 06: Skifahren, Knaben aus dem Internat
– meistens waren die kurzen Hosen etwas länger.

Kleidungsmoden ändern sich. Zum Beginn der 1960er Jahre verschwanden die langen Strümpfe von den Knabenbeinen. Nur noch die Mädchen und kleinere Knaben bekamen welche angezogen, doch bald protestierten sie ab dem Schulalter, wahrscheinlich haben sie sich gegenseitig der Strümpfe geschmäht, das sei doch Mädchenkram, und ein Mädchen wolle man doch nicht sein. Einen der letzen größeren Jungen in langen Strümpfen traf ich 1952 in Bamberg, er war 13. Ich war gerade in einer verbitterten Phase während des Studiums, und da war es tröstlich, diesen Jungen zu treffen, ich war 19. Er spielte im Winter auf der Straße. Ich fragte ihn, ob ihm die Strümpfe gefallen. Und er bejahte, obwohl er weit und breit der einzige in diesem Alter war, oder gerade deswegen. Er zeigte mir auch stolz seine Strumpfhalter – „so wie meine Mutter, und meine große Schwester mit diesen Draht-Schlaufen, die so schön glänzen,“ sagte er stolz.

„Weißt du, wenn die Mutter einem etwas Schönes anziehen will, sich darum bemüht, daß sie mich schmückt, dann macht es Spaß. Dann ist es mehr als das Rumreden mit den anderen Buben über diese Dinge. Dann habe ich den Mut, meinen eigenen Weg zu gehen.“

Auch sonst war es in Bamberg ungewöhnlich. Zuerst wohnte ich bei dem alten Ehepaar Butterhof in der Dr. Remeis-Straße. Die hatten außen an ihrem Haus eine verglaste Veranda, die ich für 30 Mark monatliche Miete bekam. Einmal im Mittagsschlaf hörte ich ganz klar Beethoven´s „für Elise“, wachte auf und war enttäuscht, daß die Musik nicht wirklich war. Später kündigten sie mir, da sie in meinem zweiten Semester sahen, daß ich geldlich nicht so bedürftig war wie sie dachten, ich bekam monatlich 180 Mark von meinem Vater, das war recht viel für einen Studenten. Wie sie mir kündigten weinte ich, und das war für 35 Jahre das vor-letzte Mal. Erst mit 54 weinte ich dann wieder, als unsere Ehe zerbrach. Diese lange Zeit ohne Weinen, obwohl immer wieder Grund genug gewesen wäre, nicht nur Trauer sondern auch Freude über ein eben geborenes Kind oder einen klaren Knabengesang, oder über eine unerfüllte Liebe, oder auch erfüllte Liebe, einen Blick in wache Augen (Mensch oder Tier) . . . , dieser Mangel war wie eine Krankheit. Ich habe mich oft nach Weinen gesehnt, aber ich war lange nicht wieder gelassen genug.

Einmal traf ich den Bamberger Jungen wieder, und er setze sich neben mich auf ein Vorgarten-Mäuerchen, und nach ein paar stillen Minuten begann er zu weinen. Ich hatte bereits gelernt, daß Trösten in solchen Momenten nicht wirklich tröstlich ist. Wer weint, muß weinen, da sollte ich nicht eingreifen. Wie ich nach Jahren mal hörte, ist Weinen ein Geburtsrecht von uns Menschen, ein ganz besonderes. Er hat mir auch erst eine Stunde später seinen Grund erzählt, ich hatte nicht gefragt, hätte ich als taktlos empfunden. Ich trug damals auch oft meine langen Strümpfe, da war ich wohl vertraut für ihn. Ich bestärkte ihn in seinen Wünschen. 

Und er erzählte mir, daß er sich zuhause schon durchsetzen müsse, um auch jetzt mit 13 welche tragen zu dürfen, sein Vater sei dagegen, nun müsse er doch endlich mal ein Mann werden, und  . . .  Ich fand – und sagte es ihm –, daß er mit 13 noch sehr weit davon entfernt wäre, ein Mann sein zu müssen, ich sei ja nicht mal richtig einer. Wir tauschten uns auch aus in unseren Erfahrungen der Körper-Gefühle, die auch etwas mit diesen Strümpfen zu tun hätten, er war dankbar, das nun in Worte bringen zu können, Worte zu haben, um seine Gefühle ausdrücken zu können. Als er weinte, habe ich mit geweint, es kam so. Wir schmiegten unsere Gesichter aneinander und vermischten unsere Tränen. Das war für lange Zeiten das letzte Mal. Ich bin ihm noch dankbar für diese gemeinsamen Erfahrungen und Erkenntnisse. Ein paar Wochen danach zog ich aus Bamberg fort, nach Freiburg. Doch wir trafen uns noch einige Male, und sechs Jahre später erzählte er mir, wie wunderbar unsere Treffen gewesen seien, er sei in seinem ganz eigenen Charakter – „meinem ganz besonderen Charakter“ – sehr bestärkt worden, auch weil wir uns so ähnlich wären.

Bild 07: die Postkarte aus Varanasi (Benares, Kashi), Indien


Jahre später bekam ich eine Postkarte von ihm aus Indien, wo er sich niedergelasen hatte – „weil es hier so schön warm ist und ich einfach nur ein dünnes Tuch um die Hüften wickeln muß.“ Hier die altmodische Postkarte aus Varanasi, die auf  langen Irrwegen durch die Kontinente mich schließlich, nach Wochen erreichte:

„Lange Strümpfe trage ich hier natürlich nie – außer wenn ich mal nach Kathmandu reise und an die Ränder der Himalayas. – Ach doch, manchmal als Schmuck, zu einem Fest, dann müssen es schon besondere sein, Nylons oder Seide. Ich suche mir braune, ein wenig ähneln meine Beine dann den braunen der Einheimischen hier. Hier gibt es tatsächlich welche zu kaufen, manche Frauen ziehen welche an, komisch.“ – Die Karte war in einer sehr kleinen und klaren Schrift.

„Und ich habe nicht nur die Sprache gelernt, Hindi, sondern ein altes indisches Musikinstrument, die Sitar. Und bin so was wie ein Hindu geworden.“   Das alles hat mich sehr berührt, und wohl meine späteren Wege nach Indien gebahnt.


Meine Eigen-Erotik blieb ein wesentlicher Teil meiner Seele, gehört wohl zu mir, vielleicht von Geburt an. Ist immer noch so, mit fast 80. Als ich meine Eigen-Erotik voll erkannte und anerkannte und lieb gewann, wurde mein Leben freier und leichter, auch in den Beziehungen mit Frauen, und gelegentlich mit Jünglingen – und weiterhin zu Stefan, trotz seines südländischen Bartes, den er nie wirklich abrasierte. 

So ist meine Eigen-Körper-Erotik ein starker Teil meiner Selbst-Liebe, meiner Sensibilität, und sie war bis vor wenigen Jahren Grundlage für mein Onanieren, meines Sex for one, wie der Titel eines Buches heißt. Auch häufiges und intensives, erlebnisreiches Onanieren hat mich nie am Sex mit meiner Frau oder einer Freundin gehindert. Beide Formen des Sex haben sich in meiner Seele ergänzt. Beide Formen des Orgasmus konnten groß sein! – im Abstand von nur zwei Stunden, großartig!

Sex mit einer Frau zusammen bedeutet immer, in den Fantasien einen Mittelweg zu suchen, eine Mischung beider Fantasien. Doch wenn ich allein war, hatte ich die ganze Freiheit meiner weit reichenden Fantasien. 

Seit ich aber nur noch lange Röcke trage (und seit ich 60 war, habe ich schließlich keine einzige Hose mehr im Schrank), da spielte ich diese schönen erotischen Spiele mit dem einander Streicheln auch mit Freundinnen, die anfangs immer erstaunt waren, weil sie diese halb-sexuellen Genüsse miteinander einfach so im Kleid oder Rock nicht kannten – oder noch nie mit einem Mann im Rock ausgetauscht hatten, oder sich unsicher fühlten. Manchmal, wenn wir nebeneinander im Cafe saßen – unter der Tischdecke –  oder im rüttelnden Bus, oder am Waldrand . . .

In den heutigen Strumpfhosen ist das alles kaum noch möglich, weswegen ich nie welche trage. Doch Frauen-Strumpfhosen kaufe ich mir gelegentlich, weil es heute so schöne gibt, ich liebe die aus Baumwolle, und da schneide ich den oberen Teil ab und behalte die Strümpfe. Und hänge sie an übliche Strumpfhalter – wie auf den Bildern 08 und 12 und in der achten Ergänzung am Schluß  dieses Berichtes.

Unter´m Rock möchte ich schon lange Strümpfe tragen, sieht besser aus, denn meine alten Beine sind schon lange nicht mehr hübsch, und die Strümpfe schmücken. , und halten warm. Als Kinder hatten wir meistens braune Strümpfe, und das halte ich immer noch so. Wenn ich heute erfühle, was das Braun bei mir bedeutet – es ist die Nähe zur Erde, ich denke, es ist mein Sehnen nach der Erde, die braun gekleideten Beine ähneln damit der Erde unter mir, das gibt mir Sicherheit, Standfestigkeit  . . .  . Am stärksten ist das, wenn die Strümpfe aus brauner Baumwolle sind, nicht zu dünn, ein wenig dick wie Erde auch.

Und im Alter begann ich, bunte Strümpfe zu tragen, die in bunten Farben leuchten. Das hat eine andere Bedeutung: Die Farben und Muster schmücken meine Beine, ich gebe den Beinen damit Liebe, Zuneigung, Achtung, Heilung, da wo sie durch die alte Krankheit geschädigt und geschwächt und dünn sind. Beides, das Braune und das Bunte haben für meine Seele eigene, große Bedeutungen.

Möglicherweise unbewußt haben die Mütter damals ihren Kindern das Braune auch als Weg zur Erde geben wollen, zur Sicherheit, schließlich zur Selbstsicherheit. Und ich denke, das würde Kindern immer gut tun, wo sie doch am Anfang ihres Lebens noch so vieles erfahren müssen und sich – im ganz eigenen Stile ihrer neuen Seele – zurechtrücken müssen. Mir jedenfalls hat es schon als Kind gut getan, und tut es bei schwachen Stimmungen immer noch gut. Doch wir hatten auch Probleme mit den Strümpfen: da sie nicht elastisch waren, halfen die elastischen Strumpfhalter auch nicht immer, denn wenn wir nach langem Sitzen aufstanden, kräuselten sich unsere Strümpfe über den Knien, und das mochten wir nicht – adrett sollten sie doch aussehen. Wir mussten sie erstmal wieder ein wenig stramm ziehen – doch das war ja bei den Kniestrümpfen kaum anders.

Im Berufsleben in der Meeresforschung, auf  See trug ich wie üblich lange Hosen, ich habe damit wohl meine durch die Krankheit sehr dünn gewordenen Beine versteckt, mochte sie nicht zeigen. Doch unter den Hosenbeinen hatte ich ebenfalls die Strümpfe.

Vor ein paar Jahren habe ich mir lange Wollstrümpfe selbst gestrickt, bunte, geringelte, mit Hilfe einer großen Strickmaschine, für die Winter. Ich bin immer wieder gerührt, wenn ich meine schwachen und in Strümpfen dennoch schönen Beinen ansehe. Es ist ein Wohlgefühl, wenn ich meine Knie in den Strümpfen streiche. Immer wieder sammele und fotografiere und zeichne ich Bilder mit Leuten in ihren langen Strümpfen, meistens Kinder und Jugendliche. Seht hier: http://www.flickr.com/photos/aryaman-stefan/ .

Die Mädchen in meiner Jugend blieben ja bei den langen Strümpfen, auch als erwachsene Frauen. Doch die Knaben meinten das nicht mehr nötig zu haben, und am Ende steht ja die Loslösung von der Erde und der Weg nach oben ins Geistige, in den Kopf, das ist der Weg der Männer, jedenfalls in unserer Kultur. Ähnlich ist es ja mit den Röcken: die Frauen blieben durch alle Jahrhunderte dabei, die Männer trugen nur in manchen Perioden Röcke. Für mich aber sind meine Röcke ebenfalls eine Weisung zur Erde, sie sind nach unten offen, zur Erde hin. Mir ist das Erdige immer genauso wichtig gewesen wie das Geistige, wenn auch gegensätzlich. Obwohl ich auch das Geistige pflege, und obwohl ich sogar studierte, was ja etwas sehr Geistiges ist. So wie unser Akademisches oft etwas sehr Männliches ist, Frauen haben da eher Schwierigkeiten als Männer, oder sie werden irgendwie männlich - Universitäten sind Männer-gemacht und Männer-Macher.

In bunter Kleidung stelle ich mich selbst nach außen dar, und will meine Mitmenschen anregen überhaupt mehr Buntes zu tragen, im Leben vielfältiger sein. Nicht nur meine Strümpfe sind bunt sondern auch meine Röcke, Hemden, Halstücher, Mützen, ja die Blumen im Garten und die Bilder an den Wänden, besonders das Blumengemälde von Conrad Pfau (sieh hier: http://geliebte-bilder.blogspot.de/ ). Dieses Bild hatten meine Eltern in der 1930er Jahren gekauft, und es hing Jahre lang in unserem Kinder-Spielzimmer und begleitete meine Freude an Kunst. Es ist das schönste Gemälde von Conrad Pfau, das ich gesehen habe.

Und meine Interessen sind bunt. 

Als ich 14 war, sprach ich mit meiner Mutter und den zwei älteren Schwestern über meine Strümpfe-Freuden. Die meisten Jungen trugen nur bis sie 13 oder 14 waren die langen Strümpfe, sie setzten sich gegenüber ihrer Mutter durch, denn diese Strümpfe wären doch Mädchensachen, und wir waren ja so aufgezogen, daß wir am Ende keine Mädchen sein sollten und auch nicht wollten – sondern Männer werden, war ein Programm, ein gesell-
schaftliches Programm. Mit mir war es anders, schon weil ich immer in die Opposition gegen alles ging – und auch wenn ich sie erst erkannte, mich gegen solche Programme wandte. Ich wollte immer anders sein, und so bin ich heute noch. Dazu passt nochmal dieses alte Sprichwort: ETIAM  SI  OMNES  –  EGO  NON – auch wenn´s alle machen, ich nicht. Doch fiel mir das oft auch schwer, weil meine Persönlichkeit sich für sowas nicht stark genug fühlte. Seht das Bild 01, wo ich einen Zürcher Buben darstelle, dem ich ähnelte, doch ich fühlte mich schwächer als er es ausdrückt, auf dem originalen Foto noch mehr als auf der Abzeichnung. 

Eigenartiger Weise fühlte ich mich am stärksten, wenn ich Erd-braune, lange Strümpfe an habe. So wie der Zürcher. Und das ist immer noch so – obwohl ich schon über ein halbes Jahrhundert kein Knabe mehr bin. Bunt kleide ich meine Beine, wenn ich mich schon stark und sicher fühle, die Erdung nicht nötig habe.

Also, mit 12 bekam ich erstmal keine langen Strümpfe mehr. Das ging mir gegen meinen Strich, und ich merkte ein wenig, daß das an meiner gesellschaftlichen Stärke / Kraft zehrte. Nur im Internat die schwarzen als Teil unserer Schuluniform. Waren wir Internatsschüler dadurch stärker? Ich weiß es nicht genau. Schwarze Beine wirken dünn, also nicht so stark.

Und als ich mal aus dem Internat in den Ferien zuhause war, fragte ich meine Mutter, ob sie mir nicht leihweise welche von ihren feineren Strümpfen geben könnte, wenn sie mir auch zu lang waren. Sie sagte, „Lars, meinst du denn nicht, daß dich die anderen Jungen verspotten?“Ja, hier in der Stadt wahrscheinlich, aber das war mir weniger wichtig als das Erlebnis der Strümpfe. Also gab sie mir ganz feine, hell-beige Baumwollstrümpfe, und ich nähte zwei Knöpfe für die Lochgummis eine Hand breit unter den oberen Rand an (denn sie waren mir zu lang), und ich krauste die Strümpfe oben zusammen. Und – wie geschrieben – hängte sie an übliche Strumpfhalter – wie auf dem Bild 08.

Und wie ich sie angezogen hatte, erfuhr ich ein ganz neues Gefühl an den Beinen, ich musste immer wieder über diese weichen Strümpfe streichen, und über meine Beine streichen, besonders über meine Knie. Ich musste meine Beine immer wieder ansehen, und ich verliebte mich in meine Beine, sie waren so schön in den Strümpfen. Auch zog ich sie immer mal wieder höher – nicht daß die Strumpfhalter nicht stark genug waren – nein, es machte mir diese Geste Spaß, besonders wenn Mitschüler dabei waren. Ich fühlte mich sehr echt, sehr ich selbst.

Da merkte ich erst, wie hässlich die alten, dicken braunen oder schwarzen Baumwollstrümpfe meiner Kindheit gewesen waren. Eigentlich eine Sünde gegen die Knaben, denn Mädchen bekamen wenigstens am Sonntag ebenso feine wie ich sie erst jetzt bekommen hatte. Doch das Braune damals war gut.

Bild 08: so etwa sah es aus, als ich die langen Strümpfe von meiner Mutter anzog, und der Strumpfhaltergürtel war von meiner Schwester. Ihr seht, ich war etwas verlegen – aber glücklich auch.
Ein Mitschüler im Internat hat mich so gezeichnet, wir mochten uns auch sehr gerne, und auch er begann bald diese Strümpfe zu tragen – das erste Mal . . .
. . .  Wirkung dieser Sitzung


Und meine Beine waren nun stark! – fühlten sich stark und stämmig und selbständig an. Ihr seht es auf diesem Bild. Doch diese Erfahrungen hatte ich schon früher. Vor der Zeit im Internat war ich mit einer Gruppe von Freunden zusammen, und wir strichen oft im Wald umher und kletterten auf Bäume. Doch einer war dabei, der hieß Marco und fühlte sich immer schwach, weil er so unter seiner Mutter litt. Die war sehr streng und ließ ihm nicht viel Freiheit. Einmal als er mich besuchte und wir uns Bücher von Expeditionen in fremde Länder ansahen, fragte er mich, ob er mal meine langen Strümpfe anziehen könne, denn er hatte nie welche, nur kurze oder lange Hosen. Ich gab ihm welche und auch ein Leibchen, und er zitterte vor Erregung als er das alles anzog, er weinte vor Glück. Und sagte, nun fühle er sich viel stärker als vorher nur in den kurzen Höschen (wie er sagte).

Dann bat er mich, ob er sich das mal leihen könne und so nach Hause gehen, denn er könne nun seiner Mutter mit mehr Kraft entgegen treten. Ich ließ ihn und hörte am nächsten Tag, daß ihn seine Mutter sehr ausgeschimpft hätte und geschlagen. Er konnte sich aber wehren und seine Mutter sehr erstaunen, doch er hätte ein Verbot bekommen und müsse mir die Strümpfe zurückgeben. Er glaubte, daß seine Mutter nun Angst vor ihm bekommen hätte, und daß er nun mit den Strümpfen so stark geworden wäre. Das hat mir sehr Leid getan, ich konnte nicht verstehen, wie eine Mutter so sein kann.

Später hat Marco, der sich in der Gesellschaft schwach fand, immer lange Strümpfe zu kurzen Hosen getragen, wenn er sich auf Behörden oder ähnlichem behaupten musste – so etwa wie im Bild 11.

Um diese Erlebnisse der Stärke und Schönheit zu haben, müssen die Strümpfe recht gut gespannt sein, glatt an den Beinen anliegen, gepflegt sein. Als ich 14 war, lieh – und schenkte schließlich – mir meine größere Schwester Lena zwei passende Haltergürtel aus ihrem Besitz – Bilder 08 und 12, denn meine alten, eigenen von früher waren nun zu eng gewesen. Sie fand das sehr gut, wie ich nun aussah – etwa so wie im Bild 08 und anderen.

Doch in meiner Heimatstadt zog ich sie erstmal nicht an, nur zu Hause, denn ich ahnte, daß die meisten Jungen mich wirklich herbe verspotten würden, sie würden mich spottend als Mädchen einstufen, wogegen ich nichts hatte, aber es passte irgendwie nicht – dachte ich, was hat das denn mit Mädchen zu tun, und was gibt es da zu spotten? Vielleicht hatten sie wie Marco´s Mutter Angst davor, daß ich stärker wäre. Im Internat aber trug ich sie dann – außer vormittags zum Unterricht, da gab es die schwarzen – und versuchte ein halbes Jahr später, auch die älteren Jungen dafür zu begeistern, und ein paar besorgten sich auch wieder welche, für die Freizeit. Ja, es waren gerade die stärkeren, die lange Strümpfe trugen, die anderen trauten sich wohl nicht, oder fühlten sich nicht stark genug.

Mit Stefan, der mit ins Internat gezogen war, ging ich oft in den Wald und wir genossen das alles. Und schließlich kehrte auch er wieder zu dieser „altmodischen Kindermode“ zurück – so nannte er das zuerst. Ihr könnt so was auf den beigelegten Bildern sehen.

Für mich war das keine Kindermode, denn ich blieb dabei, in wechselnder Weise bis ins hohe Alter, denn nun bin ich fast 80, und immer noch  . . .  .  Und ihr könnt sehen, das Ganze hat nicht etwa was damit zu tun, daß ich wie eine Frau aussehen will, sondern diese Kleidungsform ist etwas Schönes für mich, eben auch was Starkes, glücklicherweise schon seit Langem von den Frauen erfunden und ausgereift. Vielleicht etwas Neues. Ich finde, es ist eine gute Jungenkleidung.

Ich stand immer dazu, ein Mann zu sein (oder zu werden), doch um Einiges anders als üblich. Kein Muster-Mann. Nicht richtig den Vorstellungen der meisten Leute entsprechend – die ihre Söhne mit diesen Vorstellungen erziehen. Nicht so eng in diesen Mustern lebend.


Eines Tages bekam ein Junge im Internat – Jack nannten wir ihn wegen seiner englischen Vorfahren – zwei Paar wunderschöne Strümpfe aus England geschenkt, solche Muster wie die Schottenröcke, nur diagonal. Er zog sie an, und wir alle wunderten uns und bewunderten ihn wegen seines Mutes. Und es sah so schön aus. Unser Internat förderte den persönlichen Mut.


 Bild 09: Jack und seine schottischen Strümpfe


Der Englischlehrer, Mr. Allen, eigentlich Schotte, erklärte uns ein wenig zu dem Muster. „die Röcke der Schotten sind ja mit Karos gemustert, und die sind waagerecht und senkrecht, wie eine Ingenieurszeichnung auf dem Reissbrett, recht männlich, streng. Dieses Diagonale ist nun anders als das Männliche, jemand müsste mal einen Schottenrock anziehen und diese Strümpfe dazu¸ willst Du, Lars das nicht mal tun?“  

„Das wäre schottischer als wir Schotten gewöhnlich sind, wir laufen nämlich immer mit nackten Knien rum. Und wäre es im schottischen Winter, in den Highlands. Vielleicht bekommen ältere Männer dabei oft Knie-Krankheiten, ich muß mal nachfragen.“ Mr. Allen trägt sonntags auch mal seinen Rock, ziemlich schwarz mit ein paar bunten, dünnen Karo-Streifen. Er meinte, „das mit den Strümpfen muß ich auch mal probieren,“ doch wir haben ihn nie so gesehen. Er sagte noch, „die Frauen gehen im Winter nicht mit den nackten Knien sondern tragen immer Strümpfe, doch ihre Männer können sie nicht davon überzeugen.“ „Und ihre Kinder?“ „Da bekommen sie es hin, daß ihre Söhne, wenn sie noch klein sind, ihnen folgen. Doch ab 12 versuchen sie, die langen Strümpfe abzulehnen, sie stehen dann unter dem strengen Einfluß ihrer Väter und der anderen Jungen.“

So habe ich das also ausprobiert. Einen Schottenrock besorgte mir Mr. Allen, nicht sein Muster sondern strahlendes Grün mit Blau, „Tartan Cambell,“ sagte er. Und das passte zu den Strümpfen, auch grün. Hier seht ihr, wie das aussah, von dem Jungen von Bild 09 (Jack) gezeichnet:

Bild 10: Ich im Schottenrock mit Tartan-Strümpfen

Das war nun ein viel echteres Gefühl als das Mädchenkleid des Theaterspiels. Die Leichtigkeit unter dem Kilt, – wie man den Schottenrock nennt – hat mich begeistert, und ich trug dieses Outfit sehr oft, wurde mir geliehen, und ein Paar dieser Strümpfe bekam ich später von Jack geschenkt. Den einfachen Strumpfhalter habe ich oben an meinem Strumpfhaltergürtel befestigt. Das war der Anfang meiner bunten Röcke und Strümpfe.



Als ich 17 war, waren mir die bunten Strümpfe zu kurz und zerschlissen. Aus Dankbarkeit hängte ich sie dann noch an meine Zimmerwand. Dann zog ich fast bis zu den Knien runter reichende kurze, altmodische Hosen an, wie der Junge auf dem Bild 11, und ich bekam von meiner Mutter ein paar dunkelbraune Nylons geschenkt, blickdichte sagt man heute. Die hatte ich bisher nie gemocht, kamen mir recht affig vor, aber plötzlich  fand ich sie zu mir passend, zum Sonntag.  Und nach einem Jahr geschah etwas, das die anderen Jungen recht verwunderte: ein liebes Mädchen mochte mich, und ich sie, und sie wollte, daß ich zu meinen kurzen Hosen die Nylons oder andere lange Strümpfe trage, wie sie mich schon gesehen hatte, am liebsten  mochte sie schwarze Strümpfe, wie wir die im Internat hatten und auf alten Fotos sahen. Alles ziemlich altmodisch, wie auf Bild 11. Das war nun mir nicht so angenehm, doch sie bestand darauf  . . .  trug sie zur Anregung selbst unter´m Kleid . . . 
„. . .  und wenn ich das von dir möchte, muß ich doch auch so gehen, oder?“ Die anderen bemühten sich, so männlich wie möglich auszusehen, und ich mit meiner fast-mädchenhaften Kleidung  (wie das damals gesehen wurde) ging mit dem schönsten Mädchen. Na ja, das muß ja nicht so bleiben, blieb aber für etliche Jahre – trotz meiner Scheu.

Während meiner Studentenjahre behielt ich diese Kleidung meistens bei. Ich habe ein Foto gefunden, wo ein Junge ähnlich wie ich gekleidet war, und das lege ich nun bei:

Bild 11: dieser wohl 18-Jährige hält seine 
Strümpfe mit elastischen Bändern, die um
die Schenkel gespannt sind
(Strumpfbänder, round garters)

 Der auf Bild 11 trug „Strumpf-Bänder“ um die Schenkel (ein altmodischer Stil) – das war mir aber immer unheimlich, ich hatte Angst, daß der Blutlauf gestört würde. Obwohl das manche Kinder so hatten. Deswegen bin ich immer bei den klassischen „Strumpf-Haltern“ geblieben – bis heute – wie in den Zeichnungen Bilder 04 und 12, und meine Strümpfe sind immer ganz lang, fast so lang wie die Beine. Schließlich blieb es so, wurde mir eine gewisse emotionale und technische Vollendung, die mich – mit langjährigen Unterbrechungen – mein ganzes Leben nicht wirklich wieder verließ:







Bild 12 a, b und c: die klassische Form des Strümpfe-Gürtels
und der Strümpfe-Halter
mit Draht-Schlaufen (wire loops),
damals für junge Leute ab etwa 10,

wie meine Mutter sie mir gab
und die älteren Schwestern mir vererbten.


Ja, emotionale Vollendung:  in den Jahrzehnten danach entwickelten sich meine Gefühle so sehr in diese Richtung, daß es mir schon lange ein besonderer Genuß ist, mir den Strumpfhalter-Gürtel anzulegen beziehungsweise hochzuziehen. Und wenn ich später eine Frau traf, die ich mochte, brauchte ich nur zu entdecken, daß sie sich in derselben Weise wie ich kleidete, oder das gerne trug, so wurden meine erotischen Gefühle sehr stark angeregt.


LIEBE
Alles bisher nieder-geschriebene ist Liebe – meine Liebe im weitesten Sinn, karuna im Sanskrit: Hinneigung, Fürsorge, Verantwortung für alles, nicht nur Lebewesen, auch das Nicht-Organische, auch Gedanken, Ideen – alles. Mehr als jede Bedeutung von „Liebe“ bei uns in Europa.

Dennoch, so manche Frau – und andere Leute – habe ich besonders geliebt und liebe sie in der Erinnerung noch, wir würden uns heute noch umarmen und streicheln und küssen, wenn wir uns denn träfen. Besonders ist natürlich Gudrun, mit der ich 20 Jahre zusammen lebte, und wir haben einander in vielerlei Weise ergänzt und vieles gegeben – und auch genommen. Und trotz mancher Vorsicht  einander tief in die Seelen hinein geschaut und mit korrigierenden Händen hinein gegriffen.

Mit unseren zwei Töchtern verbindet mich viel – lange gemeinsamen Jahre, sehr verschieden. Und wenn wir uns mal treffen, ist sehr viel Nähe und Liebe da. Nun sind sie auch nicht mehr jung – 45 und 50. Und dennoch  . . .  junge und schöne und frische Leute.

Als ich 54 war, näherte sich mir ein junges Mädchen von 23, Petra, klein, zart, äußerst liebend und liebevoll, voller liebevoller Märchenerzählungen. Vieles habe ich über unsere Liebe hier geschrieben; lest es nach, http://friedas-liebe.blogspot.de/2011/02/siebtens-lina-oder-die-totale-forderung.html . Dann hat sie mir mal ein Büchlein geschenkt, eingebunden in chinesische Seide, wie das damals Mode war. Und so schöne Sachen hat sie hinein geschrieben – ganz zarte Dichterin! Nach so vielen Jahren liegt es immer in der Nähe meines Kopfes im Bett, und ich lese darin je und je ein paar Zeilen.   

Während meiner ersten Monate in Indien traf ich einen hinkenden deutschen Prothesen-Macher, und später zurück in Deutschland waren wir oft zusammen, weite Freundschaften. Doch seine Frau und ich hätten uns schon damals sehr nahe zu einander bewegt, wenn wir nicht beide frisch verheiratet gewesen wären. Alle diese Jahrzehnte bis heute pflegen Gaby und ich tiefe und zunehmende Nähe und feinstes Verständnis, doch wir trafen uns nicht so häufig wie es recht gewesen wäre, die Rücksichten auf unsere Familien hemmte uns. Nun wohnen wir beide weit entfernt von einander, unser Telefonieren und Schreiben ist aber eine feste Verbindung, und wenn wir nahe bei einander leben würden, wäre unsere Liebe sehr viel tiefer als so schon. Ich erinnere mich an ein Treffen in ihrem Garten noch in Deutschland, der von Bäumen beschattete Rasen lag dunkel moos-grün. Gaby auf einer Gartenbank . . . , lange saßen und lagen wir still beieinander, ein wenig Wein. Ja auch leichtes Weinen in unserer Liebe.

Bild 13: Gaby und Aryaman 2010

Mir sind spirituelle Meister erschienen, ich erwähne Buddha, Dalai Lama, Osho Rajneesh – und dann, was mir Dorothea gegeben hat. Als  ich sie vor ein paar Tagen besuchte, nach langer Zeit mal wieder, da hätte ich mich vor ihr tief verbeugen können, so zart geistig, spirituell ist sie geworden. Dorothea ist mir nun wie eine spirituelle Meisterin, oft nur im Schweigen. Vor zwei Jahren hat sie mich auf das „Buddhistische Wörterbuch“ von Nyānatiloka (ein deutscher Theravada-Mönch in Sri Lanka) gewiesen, das ich dann schnell gekauft habe, und da steht einiges unter dem Stichwort SatipaññaSati = Achtsamkeit, das ganze Wort bedeutet „Weisheit der Achtsamkeit“. Bei meinem Besuch sagte Dorothea, sie hätte schon lange beobachtet, wie ich meinen durch die Polio zerrütteten Körper immer achtsam angesehen habe. Und daraus Zufriedenheit gewonnen hätte.

Ja das stimmt wohl, und ich fragte mich dann, wo ich das wohl her hätte, und erinnerte mich an die Monate in Hornbæk (bei Helsingør, Dänemark), wo ich 1954 ein paar Monate in einer Polio-Reha-Klinik lebte. Dort mag ich das gelehrt bekommen haben, mir nicht erkennbar. Und nun vor zehn Jahren hatte ich Kontakt mit einem etwa 19-jährigen Mann (Andre Honoré)  aus jener Gegend, der sich den Namen „Sati Panna“ gegeben hatte und eben dieses lehrte. Ich werde ihn wieder suchen müssen. Hat sein Wirken etwas mit der Wirkung von Hornbæk zu tun, geografische Nähe? Ich werde dem nachgehen. Pañña heißt Erkennen, Einsicht, Wissen, Weisheit – wobei ich annehme, daß Sati, als er sich so nannte, dieses meinte. Also „Einsicht in die Achtsamkeit“ etwa. 

Und Jutta ist mir als Frau sehr wichtig. Wir haben keinen Kontakt mehr, aber es wäre möglich. Auch sie war sehr viel jünger als ich. Einen Karton voller Liebesbriefe habe ich noch, ihr werdet ihn an sie zurückgeben, bitte. Mit ihr erlebte ich das Crescendo und den Höhepunkt meiner Erotik – danach begannen meine Körperkräfte sehr nachzulassen. Ich finde, das ist der Gang des Lebens, irgendwann einmal verlieren sich diese Kräfte, und es bleiben mir die tiefen Erinnerungen und die Liebe. Und die Weisheiten des Alters blühen auf.

Allen diesen Ereignissen und Menschen bin ich tief dankbar. Ich sollte meine Mutter und Vater und Geschwister hervorheben, die hier und da in meinen Geschichten versteckt erscheinen und vielfältig beitragen.

Gestern, am 10. Oktober, wäre mein Kindheits-Freund Friedrich-Wilhelm 80 geworden, doch er lebt seit ein paar Jahren nicht mehr.

Und noch immer begleitet mich in der Ferne mein geliebter Schulfreund Egmont (Egi). Vielleicht sehnte ich mich mehr nach ihm als er nach mir. Ihm bin ich unter dem Namen Stefan bekannt. Ungenannt erscheint seine Erinnerung in vielen meiner Liebes-Geschichten.

Ach und noch was: Ich liebe mein Leben – so groß wie es mir gegeben wurde.


INDIEN

Mit 34 zog ich nach Kerala in Indien,  alles war ganz anders, und ich begann dort Wickelröcke zu tragen, „Lungi“ genannt. Weiß oder hell kariert, Muster Madras fabric. Und natürlich keine langen Strümpfe, denn es war heiß hier. 

Das in Indien war wirklich echte Eigen-Körper-Erotik, ich spürte und liebte meinen Körper in einem Lungi noch mehr als vorher in Hosen. Im Schottenrock waren die Gefühle ähnlich, doch ein Lungi ist leichter, lockerer, un-aufwendig, ärmlich, schlicht, Gefühle-nah . Es machte mir große Freude damals, in Indien im Lungi zu reisen, und fast jeder süd-indische Mann und Knabe trug wenigstens zeitweise einen Lungi, mindestens sonntags. Das war für die Leute nichts Besonderes, doch an einem Europäer bewunderten sie das schon! Ich lebte damals im feucht-heißen Südwesten, wo enge Kleidung lästig ist, und oft bemerkte ich, daß junge Männer und Knaben unter ihrem Lungi nackt waren. Vielleicht nicht alle, doch abends zu Feierabend, beim gemeinsamen Flanieren war das normal – empfand ich jedenfalls. Denn oft schlugen sie ihren Lungi wegen der Kühlung ein wenig hoch, und dann sah ich´s. Ob sie´s wegen der Mädchen taten? Ich weiß es nicht. 


Das Ergebnis war mehr Freiheitsgefühl für mich, seelisch und auch körperlich. – Gerade zeigt unsere Freundin Barbara mir einen neuen Rock, den sie mir aus einem indischen Lungi-Stoff (aber nicht kariert) genäht hat – was für eine feine Freude! Zum Geburtstag in fünf Wochen.


Bild 15: – südliches, tropisches Indien: der größere Knabe im hoch
geschlagenen Lungi – Kerala

Das alles war für mich eine große Zunahme meiner körperlichen Leichtigkeit, ich fühlte meinen Körper vielleicht mehr als die Einheimischen, die den Lungi schon ihr ganzes Leben trugen. Ein anderes Mal lebte ich in der Großstadt Pune in Nordindien, die ganzen drei Wochen nur im Lungi – obwohl das für diese Stadt ungewöhnlich ist, sehr ländlich.

Nach der Rückkehr nach Deutschland heiratete ich meine Frau und ihre Tochter, die damals gerade 4 war. Zuhause blieb ich dabei, fast immer einen Lungi zu tragen, und wer mich sah, akzeptierte das. Dann kam unser zweites Kind. 

Dann Ehe-Jahre und Familie und die zwei Kinder mit manchen Erlebnissen und Erfahrungen, die eine Familie bringt, auch musikalische. Als ich 53 war, ging die Ehe zu Ende, aber nicht die Familie, dennoch war es mir als ob mir der Boden unter meinen Füßen verschwunden wäre. Da hatte ich schmerzhafte Wochen und Monate, bis ich eine Frau traf, die mir neue Wege zeigte, Wege zur Spiritualität. Wege nach Indien, Wege zu Bhagwan (später Osho genannt). Im Umkreis um Bhagwan fand ich endlich zur Frau – genau genommen zum ersten Mal –, ich meine zu meiner eigenen, inneren Frau, und damit war endlich der Weg zur tiefsten Liebe geöffnet. Ein wenig habe ich meine Wege dahin hier beschrieben: 

. . .  ich suchte nach neuer seelischer Sicherheit und Klarheit für mich. Ich suchte mich,

. . .  ich begann mit einer Woche Tantra-Gruppe, und es folgten weitere Tantra-Ereignisse. Als Tantra möchte ich eine Lebensweise und Lebensweisheit bezeichnen, in der an erster Stelle die ganze Freiheit des einzelnen Menschen steht. Das lag mir nun sehr, war irgendwie schon alte Tradition in meinem Unbewußten, in meiner Seele. Wie gesagt: ETIAM  SI  OMNES  -  EGO  NON. Trotz meiner gewissen jugendlichen Freiheit in der Familie meiner Eltern kam nun noch vieles dazu. Viele Vorstellungen und Gebräuche habe ich fallen gelassen.

Gerade die ersten Prozesse haben mich sehr aufgewühlt, und ich habe das Glück, in meinem Wesen die Fähigkeit zu haben, mich aufwühlen zu lassen, befreien zu lassen. Und verändern zu lassen – wenn ich die Notwenigkeit spüre, wenn ich den Drang habe. Ein wenig war es wie wenn ich mein Auto zur Großreparatur in eine fähige Werkstatt bringe, es ist allerlei grundsätzlich zu reparieren, und ich will das ja auch. Zu reparieren in meiner unfertigen, unruhigen, umhersuchenden Seele. Doch alles Reparieren war nichts Endgültiges, die Unruhe blieb, aber echter, eigener.

Für weite Bereiche meines Egos war es an der Zeit, daß sie in Frage gestellt wurden, daß ich rückblickend ihre Trümmer lächelnd ansehen konnte, und für einige Bereiche, daß sie ganz zerstört wurden. Schließlich wurde ich so glücklich und sorgenfrei, ich fuhr nach einer meinen Rückkehren aus einer Tantra-Woche mit der Vision nach Hause, mit Armen voller Blumensträuße heimzukommen und an alle Leute die schönen Blumen zu verteilen.

Was war der Weg damals? Bhagwan selbst bin ich nie nahe begegnet. Obwohl er vorher wahrscheinlich sehr viele Leute direkt „behandelt“ hat, doch in der Zeit meiner Besuche waren einfach zu viele Leute in seinem Umkreis. Ich habe ihn aber gehört, habe ein Jahr lang nur die Zeitschriften „Rajneesh-Times“, „Osho-Times“ und seine Vorträge gelesen und in Videos angesehen, habe mich sozusagen umbilden lassen. Ich gebe zu, daß in mir ein neues Psycho-Bild entstand, mit dem ich nur wenig mit den gängigen westlichen Psychologen (und meine Tochter ist westliche Psychologin) austauschen konnte. Doch das war nicht das Wesentliche. Das Wesentliche ist die Hingabe, surrender, nicht an den Meister sondern an den eigenen unbedingten, bedingungslosen Willen, für sich Neues, Richtiges zu schaffen. Diesen Weg nennt man in Indien Sannyas, die Leute, die´s tun, Sannyasin.

Das also hat mich recht verändert – dennoch war es nicht ein völlig neuer Weg, der Weg war keine Kehrtwendung oder so was, es war schon mein mir zustehender Weg, entspricht meinem ganz eigenen Wesen, nun nach den ziellosen und holperigen Jahren davor, dem hin und her-Gesuche verfeinert, und in eine gerade Linie gezogen. Nebenbei habe ich in diesen Jahren gelernt, mehr in mein Wesen zu sehen.

In diesen indischen Zeiten hatte ich mancherlei besondere Erlebnisse: Ich war in Indien oft in der Großstadt Pune, und trug immer einen bunten Lungi, auch im dichten Verkehr, und das war in der Industriestadt Pune nicht üblich, einmal wurde ich deswegen in einem Restaurant abgelehnt. Doch es reizte mich, das hier in der großen Stadt mehr zu probieren, zu wagen. – Jemand fragte mich, ob ich als Ausländer einem Mann helfen wolle, der als Arbeiter einen schweren Unfall hatte und nicht gehen könne, einfach nur da sein und ihm mit ein paar Worten Mut machen. Wir fuhren hin in ein Altstadt-Viertel, eng und etwas düster. Das einfache Arbeiter-Mietshaus war schön, und der Fußboden war mit roten Ziegelsteinen ausgepflastert, und ich begann nach einigen liebevollen Worten miteinander eine schamanische Reise, nicht weit, nicht aufwendig. Und erzählte ihm immer, was ich fühlte, was zu sagen wäre. Mein Bekannter übersetzte ins Marathi, die Sprache hier. Ich zeigte dem Mann meine Nacktheit unter´m Lungi und sagte, so hätte ich eine starke Verbindung zum Boden, tief unten zur Erde.

Mit leicht gespreizten Beinen stellte ich mich auf die Ziegelsteine, die sich an den bloßen Füßen sehr erdig anfühlten, abgeschabt, rundlich, weich. Und fühlte meine Beine, beginnend von oben, vom Unterkörper aus, langsam nach unten bis ich alles fühlte, innen und außen an der Haut. Mit geschlossenen Augen sah ich meine Beine und freute mich an ihrer Schönheit und ihrer Gesundheit. Dann kam etwas: ich sah unter meinen Fußsohlen in der Erde ein Kristall-Nest, eine Druse, dunkelrot. Aus diesen Kristallen strömte langsam ein rotes Licht nach oben in meine Füße, die Beine, in meinen Körper. Und sammelte sich etwa dort, wo meine Blase ist.

Das hatte vielleicht nichts mit den Beinen des Mannes zu tun. Doch er meinte, zuerst hätte es weh getan, doch nun werden sie weicher und lebendiger. Sein Unterkörper verlor die Verkrampftheit, besonders seine schmerzenden Beine. Vielleicht, meinte er, heilen sie nun schneller. Ich riet ihm, ja zu sagen zu seinen kranken Beinen, sein Unfall würde ihm etwas neue Erkenntnisse bringen. Etwas über sich selbst sagen. „Liebe deine Beine, mit Inbrunst, sie sind das Wertvollste, das du hast.“

Das für mich wichtigste war aber: meine eigene Verbindung zur Erde, zum Kristallenen der Erde. Und ich hoffe, daß ich diesen Blick auch in ihm öffnen konnte – oder hat er ihn in mir eröffnet?

Der Mann riet mir, einmal einen Shiva-Tempel zu besuchen. Irgendwie war mir das peinlich, denn ich wusste, daß es manchen Hindus nicht angenehm ist, wenn Nicht-Hindus zu ihnen in den Tempel gehen. Als ich mal in die indische Stadt Chidambaram im Süden kam, lud mich ein Brahmane ein, mit ihm in den großen Shiva-Nataraja-Tempel zu gehen. Ich erzähle euch mal, wie ich das empfand.


Ein riesig hohes Turm-Tor, davor auf der Zugangsstraße viele Händler, auch Leute, die unsere Schuhe für ein paar Paise aufbewahren. Alle tragen weiße Lungis, also Wickelröcke, oder Saris. Ich habe nur einen Lungi um den Leib gewickelt (wie der Junge auf Bild 14), und ein zusammen gefaltetes Handtuch über die Schulter gelegt, wie die meisten hier. Hosen sind verpönt, das kommt mir sehr entgegen, passt zum ganz geöffneten Gefühle-Erleben. Viele Menschen gehen rein oder raus. Dieses ist einer der größten Tempel im Süden. Er ist dem Puja,  der religiösen Hingabe für Shiva in seiner Nataraja-Form gewidmet. Der Tempel ist viele Jahrhunderte alt. Ich denke, heute wäre man nicht mehr in der Lage solche Tempel zu bauen, obwohl in Indien viel mehr Menschen leben als damals. Der hohe Turm ist übersät mit steinernen Figuren, ich weiß nicht, was sie ausdrücken – außer der großen Vielfalt. Sie sind bunt bemalt, aber das stört mein Empfinden. Bin wohl zu sehr von der Sitte in der europäischen Kunst beeinflusst, wo die Skulpturen nie bemalt wurden.

Langsam und feierlich gehen wir durch das Tor, während viele Leute an uns vorbei rennen, weniger feierlich. Doch für mich ist das der erste Besuch eines großen Hindu-Tempels, ein großes Ereignis, Lebens-Ereignis! Zusammen gelegt halte ich meine Hände vor das Gesicht, voll in Feierlichkeit, knie mich hin und lege die gefalteten Hände und mein Gesicht auf den Boden, in stiller Anbetung dieser großen Kraft.

Unter der Führung eines Kollegen, eines gelehrten Brahmanen, der das hier alles kennt. Er ist Meeresbiologe in einem Forschungsinstitut in der Nachbarstadt Parangipettai und heißt Dr. Sambha.

Bild 16: der allerheiligste Altar im
Shiva-Nataraja-Tempel in Chidambaram

Die Luft ist voller Düfte der zahllosen Duftkerzen, Agarbathi genannt. Und aus dem Innern höre ich eine Musik von Schalmeien und einer Art Trommeln. Hier sind viele kleinere Gebäude, und viele Säulen, „der Tempel der tausend Säulen, sagen wir“, sagt Sambha. Und in der Mitte ein kleinerer Tempel, ein Altar und da unter einem Dach auf weiteren Säulen ein hohes Standbild von Shiva. Die große männliche Kraft, der tanzende Shiva, Nataraja.


 Bild 17: Shiva Nataraja, Bronzefigur

Hier sind viele feierlich aussehende Menschen. Es ist so beeindruckend, alle in dunkelbrauner Haut und weißen Tüchern. Seit diesem Moment liebe ich die dunkle Haut der Tamilen (wie das Volk hier genannt wird).  Wenn ich später jemanden mit solcher Haut sehe, kommen mir Tränen vor Sehnsucht.

Hier, unter dem Dach des Allerheiligsten, genannt Chit Sabha steht die Figur des tanzenden Shiva. Umgeben von den Skulpturen anbetender kniender Menschen. Blumengestecke, Räucherstäbe, Girlanden  . . .


Anbetend lege ich die Hände wieder zusammen vor mein Gesicht und starre gespannt auf Nataraja und die Priester. Ein Priester trägt einen Bronze-Teller, auf dem weißes und rotes Pulver gehäuft sind, und ein flammendes Licht steht. Er schwenkt den Teller vor Nataraja und geht dann zu jedem Besucher. Wir nehmen von den Pulvern und zeichnen etwas auf unsere Stirnen, legen ein paar Münzen auf den Teller. Dann halten wir unsere Hände über die Flamme und kurz über unseren Kopf. So übernehmen wir dankbar ein wenig der Segnung Shiva´s für uns.


Das ist einer meiner heiligsten Momente in Indien. Hier bin ich zum Hindu geworden. Auch habe ich in diesem Tempel endgültig meine tiefe Überzeugung von Ahimsa gewonnen. Ahimsa – die absolute Gewaltlosigkeit, die hohe Achtung vor jedem Lebewesen. Auch die ganze Liebe, Karuna. Endlich habe ich mein altes  Sehnen nach dem Heiligen ein wenig befriedigt.

Auch Ahimsa für jedes Tier, jede Pflanze. Diese tiefe Zuneigung und Achtung für das Leben, das nimmt immer mehr zu. Auch für meinen  eigenen Körper, mein 
eigenes Leben . . .

Und zwei Jahre später ein anderes heiliges Erlebnis: Das zweite Mal in Pune. Ein paar Jahre vorher war ich in Deutschland Sannyasin von Osho geworden, das ist die Bezeichnung eines Menschen, der einige Stücke seiner Vergangenheit losgelassen hat – oder wenigstens sich darum bemüht, sich darum bemüht. Morgens und abends pflegte Osho zu uns zu sprechen. Ich war morgens zu spät in den Park gekommen, und sie haben mich nicht mehr reingelassen in das große Zelt. Doch draußen im Park war eine Bank unter einem Lautsprecher mit Osho´s Stimme. 

In seiner Rede, „The vertical line opens a door into eternity“ am 28. Februar 1988 (nachzulesen in „Hari Om Tat Sat“, Chapter #27) fragt jemand, „Beloved Master, you once said, »The Moment is rare when Eternity penetrates Time«, es geschieht selten, daß die Unendlichkeit in die Zeit eindringt. Can you speek more on this?“

Und da sagte der Master etwa:   » . . . , die Frage scheint einfach zu sein, aber die Antwort ist sehr komplex. Das Komplexe wird vielfältig, weil die Frage nur aus deiner eigenen Erfahrung kommt, nicht von anderswo. So wie die Frage aus dir selbst kommt, muß die Antwort ebenfalls ein Teil deines Innern sein. Doch ich will mehr ins Einzelne gehen, um zu erläutern, was ich meine, wenn ich sage, es geschieht selten, daß die Unendlichkeit in die Zeit eindringt.

Zeit ist das, worin wir leben – sie ist horizontal. Sie ist von  A  nach  B  nach  C  nach  D , sie ist in einer waagerechten Linie. Unendlichkeit (oder Ewigkeit) ist vertikal. Sie ist nicht von  A  nach  B  und von  B  nach  C .  Sie ist von A  nach mehr A  und immer noch mehr A . Sie geht immer weiter aufwärts. Das geschieht selten, denn es geschieht nur, wenn Meditation ein Reifen erreicht hat, eine vollständige Reife. Wenn du deinen innersten Kern berührt hast.

Dann plötzlich wirst du gewahr, daß du selbst eine Wegkreuzung bist. Der eine Weg geht waagrecht, in anderen Worten, er ist mittelmäßig, gewöhnlich, bedeutungslos, und er führt schließlich zum Tod. Die waagerechte Linie bewegt sich fortwährend zum Friedhof.  . . . «

Wie ich das gehört hatte, erschien vor meinen geschlossenen Augen in einer langen Mauer eine Art Gartentor, das geöffnet war, und dahinter ging es tief in die Unendlichkeit, und ich war mir nicht sicher, ob ich mich da hinein fallen lassen sollte. Ich tat es nicht, ich zögerte und zog mich  erstmal zurück. Osho sagt noch:

»Wenn du in der Mitte deines Seins angelangt bist, in dem stillen Raum deines innersten Mittelpunktes, kannst du die beiden Wege sehen, der eine waagerecht (der zum Tod führt), und der andere senkrecht in die Unendlichkeit.«

Ich saß auf der Bank, und es geschah etwas in mir, etwas verwandelte sich, ich war in einer anderen Welt, auf dem Teich neben mir sah ich lauter kleine Tropfen – obwohl kein Regen war. Es wurde sehr still – und als nach einer halben Stunde die anderen aus dem Zelt kamen, sah ich in vielen Augen dieselbe Betroffenheit, dieselbe Berührtheit. Man sagt so ein Erlebnis sei ein Satori, „das echte Erwachen für immer“ sagte mir jemand. Ob´s das wirklich bei mir war, konnte ich nicht sagen. Jedenfalls hat sich manches in mir manifestiert, ich wurde viel mehr ich-selbst als je zuvor.



Und so kam ich schließlich in meine Heimatstadt zurück, wie gesagt mit einem Arm voller Blumen. Ob ich den anderen etwas habe mitbringen können, weiß ich nicht, soll auch nicht meine Sorge sein.

Jedenfalls wurde ich stiller als vorher. Schon in meiner Kindheit hatte ich Zeiten der Stille, nun noch mehr. Bald nach diesem Erlebnis musste ich mich zurückziehen von meinem Job, dort war es mir zu anders, will sagen, zu banal, war nun schon gerade nicht mehr mein Wesen. Doch Indien war es, der Ashram in Pune und andere Plätze, wie der in Chidambaram. Wo ich allerdings nie wieder war.


Gerade merke ich, daß ich vollständig glücklich bin, wenn ich meine Langsamkeit, meine Gelassenheit spüre.


MEINE MUSIK-LIEBE
– ist es nur Liebe? Ich habe schon immer wieder berichtet, was ich mit der Musik erfahren habe. Noch mehr: ob Stefan´s Großmutter in Bielefeld uns das erste mal – als wir wohl zehn waren – in eine Oper mitgenommen hat, „Frau Luna“ – oder war es eine Operette? –, ob wir vom Internat uns „Zar und Zimmermann“ angesehen haben – oder „gehört“ haben, wie Stefan mich liebevoll verbesserte. Oder Herr Haberland uns tief in die „Meistersinger von Nürnberg“ eingeführt hat. Doch haben Opern oder ähnliche Stücke mich nicht so tief gefesselt wie Kammermusik oder Konzerte. Meistens hörte ich Frau Hildegard Krafft von Delmensingen ihre Geige für uns spielen. Ich glaube, daß sie bei uns war, um uns Knaben die klassische Musik nahe zu bringen. Sie war wohl so wohlhabend, daß sie auf das geringe Lehrer-Gehalt nicht angewiesen war, denke ich. Und es war sehr gut, daß sie bei uns war. Und manche Jungen standen ihr sehr nahe, ich war zu scheu, sie war eine zu große Erscheinung.

Und einmal spielte uns Frau Schmidlin die Kreuzersonate vor, und das war für mich der Einstieg in Beethoven´s Musik. Oder unser Klassenlehrer lud Stefan und mich zu einem Abend in seinem Zimmer ein, wo er uns beiden von Platten das Violinkonzert e-moll von Mendelssohn-Bartholdy vorspielte. Beide Stücke begleiteten mich durch mein Leben, und wenn ich heute Patrizia Kopatschinskaya mit der Kreuzersonate oder Beethoven´s Violinkonzert oder Janine Jansen mit dem e-moll-Konzert von Mendelssohn-Bartholdy höre, sind das meine stärksten Musikerlebnisse. Und auch die Thomaner und die Tölzer Sängerknaben.

Dennoch ist Johann Sebastian Bach mein Lieblingskomponist geblieben. – Es geschah immer wieder, daß ich nachts durch eine Stadt ging und eines meiner Lieblinge aus einem offenen Fenster hörte: in Amsterdam, Bremen, Hameln oder auch Funchal oder selbst Kottayam. Ich musste stehen bleiben und  trotz Regen oder Schnee oder Hitze hören bis zum Ende. 


Meine Musik-Sehnsucht hat auch Tragisches an sich:  wie oft geschah es, daß ich eine Aufführung nicht besuchen konnte, angefangen von meinen Eltern, die mich abhielten mit den Worten, „du bist so selten zuhaus, nun bleib heute Abend mal hier.“ Ich fühlte mich zu weich um zu opponieren, denn das hätte meine Stimmung gestört und den Zugang zur Musik unterbrochen. Es war richtiger weich zu leiden als um die Musik zu kämpfen.   – bis hin zu den Unfähigkeiten wegen meiner gelähmten Beine den Konzertsaal zu besuchen, wenn da Treppen waren. Doch auch Wehleidigkeit wegen der Geh-Probleme hat mich manchmal abgehalten.

Als ich immer wieder nach Indien ging, habe ich mich auch in die indische Klassik einführen lassen, die sehr eng mit der indischen Spiritualität verbunden ist – wie Bach mit der christlichen Spiritualität. Das Wort Klassik hat in Indien eine andere Bedeutung als in Europa. Mein Lieblings-Interpret ist Hari Prasad Chaurasia auf der Bambus-Bansuri-Flöte, den ich einmal auf der Bühne erlebt habe, in Köln. Er ist da so gelassen und liebevoll mit seiner Musik und uns Zuhörern wie Itzhak Perlman auf der Violine.




TANTRA MIT 15, GEMEINSAME RADTOUR IN MÄDCHENKLEIDERN
Noch etwas mehr über die Internats-Zeiten. Mein liebster Freund Stefan und ich waren fast immer zusammen, manchmal schliefen wir zusammen im selben Bett, kuschelten miteinander, küssten uns, ganz nahe und dicht. 

Und einmal, mit 15, hatten wir die Idee, zusammen in den Ferien eine Radtour zu machen. Nicht nur einfach rum-touren sondern ein Experiment damit verbinden: wie ergeht es eigentlich Mädchen? Sind sie so anders als Jungen? Oder ist das nur äußerlich? Ich habe das Erlebnis hier beschrieben: http://tantricum.blogspot.de/2009/08/jugendliche-tantra-erlebnisse.html . Ein Erlebnis möchte ich hier auch nochmal reinstellen:

. . .  also, wir zelten ja meistens irgendwo in der Natur, suchen uns etwas einsame Plätze wie Waldwiesen oder oben auf Bergen mit Ausblicken und Sonnenauf- und -untergängen. Am dritten Abend lagern wir auf einem höheren Hügel, wahrscheinlich hatten die alten Germanen hier mal einen besonderen Platz, jedenfalls liegen viele sehr große Steine umher, ein wenig angeordnet, so daß wir denken, hier war mal eine Grabstätte für einen Fürsten. Wir haben etwas unsichere, zögerliche Gefühle. Ich merke, daß ich heute mehr erwarte als nur so im Zelt zu schlafen. Weiß aber nicht, was.

Sorgfältig hängen wir unsere Hemden und Röcke auf einen Zweig eines Busches, sehen uns dabei in die Augen, ich bewege meine Hand kurz wie zum Streicheln, wir sitzen noch um ein  kleines Feuerchen dicht an einem der germanischen Felsen, das wir in einer Art gemacht hatten, daß es nicht raucht, also kein Zeichen in die Ferne gibt, nur mit trockenem Holz – hatte ich in meinem Indianerbuch über Tecumseh gelesen.

Stefan sitzt neben mir und sieht ein wenig gespannt ins Feuer, bis er sich zu mir dreht und sagt, „weißt du, daß ich dich sehr gerne mag? Du hast ein so schönes Gesicht, ich möchte dein Gesicht immer streicheln, es sieht so weich aus.“  Nun war ich verlegen, denn so was hatte bisher nur meine Mutter gesagt, und sogar bei ihr bin ich manchmal verlegen.

Ich lege mich auf den Rücken und verschränke meine Hände unter dem Kopf, vielleicht geschieht jetzt etwas. Stefan legte eine Hand auf meinen Bauch und streicht leicht hier und dahin, dann streicht er über meine Stirn und ein paar Haare zur Seite. Dann berühren zwei Finger meine Wangen, und er küsst sie schließlich ganz zart, ist aber weiterhin etwas gespannt. Oh, was für ein Gefühl – ein so schöner Kuß, das hatte ich noch nie erlebt.  „Wirklich, deine Wangen sind etwas Wunderbares,“  sagt er und streicht mit einem Finger darüber und schließlich über meine Augenlider, dann unter die Nase und auf die Lippen. Am ganzen Körper zittere ich nun und lasse mich immer tiefer ins Genießen fallen.

Ja, der ganze Körper zittert, und ich merke, besonders zwischen den Schenkeln war viel Wärme, Hitze, Bewegung, dann wollte ich mich wälzen. Doch erstmal schiebe ich meinen Unterrock hoch und zeige, wie es mit meinem Glied ist, im Schlüpfer steift es sich, und Stefan schiebt den Schlüpfer die Schenkel hinunter und streicht zart über die Haut, wo sie nicht von den Strümpfen oder dem Hüftgürtel bedeckt ist.  „Wie weich deine Schenkel sind!“  Das tut so wohl, ich gebe mich ganz hin, wie man sagt. 

Leise flüstere ich: „Ich fühle mich ganz als kleines Kind, weißt du, wie meine Mutti mich. früher gestreichelt hat  . . .  tu es weiter, es ist so warm und liebevoll, so voller Liebe. Deine Hände sind so weich, wie die meiner Mutter.“  Weit spreizen sich nun meine Knie und  . . . , und mein Leib öffnet sich ganz dem geliebten Freund. Er streicht über meine weiche Haut und sagt,  „du bist ja noch ganz Knabe, fast noch ohne Haare, doch schon so stark! Ich liebe dich als Knabe, so wie du bist. Doch das habe ich ja schon gewußt.“

Meine Schenkel spreizen sich nun so weit, daß es sogar etwas schmerzt. Und selbst fasse ich mein Glied und die Hoden und mache allerlei Gutes mit ihnen. Stefan sieht zu und meint,  „das ist doch eine rechte Weise, sich selbst zu genießen.“  Dann nimmt auch er seinen Unterrock hoch und hat ein dickes Glied, und er legt sich vorsichtig über meinen Körper – und nun wissen wir nicht, wie es weitergeht. Erstmal habe ich das Gefühl, daß sein Gewicht mich in den Boden hinuntersenkt, mein Körper – so fühlt es sich an – versinkt in der Erde, oder er wird ganz platt, und das ist etwas ganz Schönes. Weit spreize ich die Arme zu den Seiten, auch sie versinken in der Erde. 

So liegen wir still eine lange Weile, und unsere Körper, so scheint es, verschmelzen sich. Und zusammen und miteinander verschmolzen sinken sie in die Erd-Tiefe, und dann legt sich Erde über uns, und wir sind zusammen mit der Erde, ganz ein Körper. Dann wachen wir wieder auf, und der Mond scheint, und unser Feuer glimmt noch etwas.  „Weißt du eigentlich, wie schön du bist?“  sagt Stefan nochmal, und ich erwidere nur mit demselben Satz – und es muß ein seliges Lächeln in meinem Gesicht zu sehen sein. 

„Ja, ein Knabe, mit all deiner Schönheit, deiner Nacktheit, ein großer Knabe zwar, aber noch lange kein Mann. Freu dich daran, genieße es, solange du noch so bist.“

Später stehe ich auf und lehne mich an einen alten Zaun, ein Bein knicke ich, stütze es an das Holz, den Unterrock streife ich höher und erfreue mich an der von unten kommenden Nachtluft, die tief an den Körper kommt und meine Haut schmeichelt. Manchmal wird die Luft warm vom Feuerchen, dann wieder kühl. Stefan kommt und beginnt zu zeichnen wie wir vorher zusammen lagen und uns küssten, und am nächsten Tag macht er ein wunderschönes Bild aus dieser nächtlichen Skizze, da könnt ihr noch Teile unserer Mädchensachen sehen, die Strümpfe und so weiter – eigentlich nicht-nur-Mädchen-Sachen. 

 Bild 18: die Seligkeit unserer Liebe
 
Bild 19: unser Knaben-Kuss 

Dieses wurde meine erste tiefe Liebe, eine Knabenliebe, wie es wohl je und je anfängt im jungen Knabenleben. Ich bin noch heute froh, daß ich das erleben durfte, es hat mir für mein Leben, für meine Seele die Sinne geöffnet für das Lebendige in meinem Leib und in anderen Leibern.




 
Bild 20: die Nachtluft am Leib




















 


 NACHWORT.
Gewiss, nicht alles in dieser unvollständigen Geschichte war konkret geschehen so wie ich es hier beschrieben habe. Doch, wie mir eben eine liebe Freundin sagte, „es geht ja um das, was in deiner Seele konkret ist, und du hast es in Form deiner Geschichte ausgedrückt, hast ein Bild deiner Seele gegeben. Das ist weit mehr als Fakten.“




Erste Ergänzung:


Über MEINE  BUNTEN  RÖCKE nochmal

Als ich etwa zehn war, begegnete mir das Bild eines vielleicht 13-jährigen Knaben im schottischen Kilt, ein bunter Rock mit vielen Falten, das Bild habe ich später wieder gefunden, eine schöne, farbige Kopie hängt in meinem Zimmer, und eine einfache Kopie hier: 



 
Oben: Schottenknabe im Kilt, gemalt von 
R.R.McIan, in „The Clans“ 1845. 
Im unteren Bild (Mitte) 
mein tiefster Wunschtraum: ich im Rock,
im Kilt.


So begann meine starke Liebe zu Röcken. Die ich gerne selbst tragen wollte . . . und Jahrzehnte später wurden lange, bunte Röcke meine täglichen Kleidungsstücke. Als Kind tag-träumte ich nur davon und freute mich mit 13 sehr an den bunten Schottenröcken, die britisches Militär, das für einige Zeit in meiner Heimatstadt stationiert war, als tägliche Uniform trug, der sogenannte „Kilt“. Einige waren mit ihren Familien gekommen, darunter auch Knaben meines Alters, die zeitweilig den Kilt trugen – ein Junge im Rock, das war meine Sehnsucht für mich.


Im Bild habe ich mich mal gezeichnet, wie meine tiefsten Sehnsüchte und Träume waren, nur sehr im Geheimen. Sehr lebendig – bis heute, Knaben-Erotik wie sie ganz mein Eigen waren und bleiben und sind.


Nach dieser Zeichnung habe ich noch nur noch eine gemacht, doch gerade denke ich, daß ich nun aufhören werde, dergleichen zu zeichnen, dieses hier ist der Höhepunkt, bisher jedenfalls.




Zweite Ergänzung:

MEIN KHAJURAHO, MEIN TANTRA

Irgendwann reiste ich das dritte Mal nach Indien, mein Ziel war Pune (von den britischen Besatzern früher Poona genannt), um Osho und seinen Ashram zu erleben. Und um etwas mehr über Tantra zu erfahren, seit dieser Reise empfinde ich Osho als meinen großen Tantra-Meister. Nachher war ich noch zwei Male in diesem Land. 

Bevor ich nach Pune fuhr, sah ich mir ein paar Tage die Tempel in Khajuraho an. Darüber habe ich hier in diesen Blogs geschrieben: http://tantra-khajuraho-sieben-osho.blogspot.de/2012_11_01_archive.html  und  http://tantra-khajuraho-sieben-osho.blogspot.de/2010/10/weitere-zitate-zum-verstandnis-der.html  .  


Im zweiten dieser Blogs schrieb ich unter anderem:

Tantra ist also eine tiefer in die Seele eindringende Religion als die großen so genannten Weltreligionen – es ist eine tief mystische Religion wie Taoismus, Zen, Chassidismus, gewisse Religionen bei Naturvölkern und andere. 

Im Gegensatz zu den mystischen sind die Welt-Religionen eher an den Verstand gebunden, die Begegnung mit Gott findet auf der Verstandes- oder Emotionsebene statt, nicht tiefer. Nur so ist es verständlich, daß die Weltreligionen sowohl von religiösen wie nicht-religiösen Menschen angenommen und benutzt werden können – immerhin bringen sie allen Teilnehmern die Möglichkeit, sich wissend, denkend, theo-logisch, sowie durch Formeln, Gebete, Riten mit Gott zu beschäftigen, sogar mal als ein  
großer Vertreter des Glaubens   zu gelten. Sie bringen weiter die Möglichkeit von Mission, von politischer Ausdehnung bis hin zu Imperialismus – Dinge, die in wirklich mystischen Religionen nicht möglich sind.

Aber gerade diese Punkte sind die oben genannten 
Schlacken, von denen die mystischen Religionen einen befreien wollen. Einher mit dem Verlust an den Schlacken geht auch der Verlust an gesellschaftlich hohem Ansehen und Macht, aber da ist dann der Gewinn an Eigentümlichkeit, Individualität, Natürlichkeit, Kreativität, Gelöstheit, Ehrlichkeit, Fröhlichkeit und Liebe.“

Im Buch von Bhagwan Shree Rajneesh (das ist der vorherige Name von Osho), „Goldene Augenblicke, Portrait einer Jugend in Indien“, spricht Osho über ein früheres Leben. Vor 700 Jahren, da sei er eine gewisse Zeit mit Bodhidarma mitgegangen, als dieser auf seinem Weg nach China war. Da kommt mir der Gedanke, ich habe die beiden gesehen, als halbwüchsiger Knabe, vielleicht lebte ich damals im Gebiet Jejakabhukti, das im heutigen Madya Pradesh lag, wo auch Khajuraho ist, vielleicht kommt daher meine innere Nähe zu diesen Tantra-Tempeln.



Dritte Ergänzung:

UNSERE FAMILIE IM INTERNAT: ALEX
Im Internat waren wir nicht nur aufgeteilt in die üblichen Klassen, die etwa dem Alter entsprachen. Sondern – etwas anders – auch in „Familien“. Zu jeder Familie von etwa 15 Jungen jedes Alters gehörte eine Lehrerin oder ein Lehrer, die Familienmutter, der Familienvater, wie wir sagten. Mein Familienvater hieß Alex, und wir duzten ihn, was in anderen Familien nicht üblich war. Alex wohnte mit seiner Frau, Erika, und drei kleinen Kindern, im Internat in einer kleinen Wohnung. Das jüngste Kind war Maria, etwa drei Jahre alt.


In unserer Familie waren „Kinder“ von elf bis über zwanzig, bis zum Abitur. Das kam daher, weil nach dem Krieg ehemalige Soldaten zurückkamen, die vorher nicht mehr ihr Abitur machen konnten, weil sie Soldaten werden sollten. Stefan und ich fühlten uns etwa in der Mitte, so um fünfzehn. Alex machte mit uns mindestens eine längere Radwanderung oder Fußwanderung im halben Jahr. Auf so einer Wanderung erreichten wir mal die Ufer des Main-Flusses flußabwärts von Schweinfurt. Ich erinnere mich, daß ich mich voller Gier in diesen Industrie-verschmutzten Fluß stürzte. Hinterher fühlte ich mich irgendwie erholt, merkte schließlich, daß ich krank gewesen war bevor wir den Main erreicht hatten. Alex fand,  daß ich vor dem Bad im Gesicht ganz gelb gewesen sei, vielleicht ein kleiner Gelbsuchtsanfall, meinte er.

Als ich den Schottenrock mit den bunten Strümpfen trug, kam die kleine Marie an, hob meinen Rock hoch und sagte, „ich wollte nur mal sehen, ob du ein Junge bist oder ein Mädchen bist.“ Ich wusste nicht, ob mir das peinlich sein sollte, aber genau genommen war mir das nicht peinlich. Im Gegenteil, ich hatte ein sehr warmes, geschwisterliches Gefühl mit dem kleinen Mädchen, nahm sie hoch in die Arme und küsste es voller Liebesgefühl. Sie hatte recht, denn ich hatte bei den schottischen Soldaten in meiner Heimatstadt einmal gesehen, daß einer keine Unterwäsche unterm Rock trug, und gehört, daß das so üblich sei, und ich machte es ebenso, voller Genuß.
 

Vielleicht hatte die Marie das gesehen und nun nachprüfen wollen – mit der Freiheit und Sorglosigkeit, die kleine Kinder so haben.


Vierte Ergänzung:

ETWAS ANDERES, WAS MICH SEHR PRÄGTE, AM ENDE SEHR TRAURIG: „NANÓK, UNSER GEMEINSAMES SCHICKSAL"


Wild jagt er auf den Wiesen umher, voller Spaß. Ohren und Schwanz wirbeln im Rennwind. Später liegt er mit mir auf meinem harten Bett, ich streichele sein verwirrtes Fell und finde ein paar Zecken, die ich rausrupfe. Nanók, mein geliebter Hund, 13 Jahre lebten wie zusammen, bis er so schwach wurde, daß ich ihn nicht mehr pflegen konnte, bei meinen eigenen Körperschwächen, ich fragte eine Tierärztin, ihm eine letzte Spritze zu geben. Sie kam, und sie war glaube ich liebevoller als ich in diesem Moment. Freunde begruben Nanók später hinten im Garten.


Ich hatte eine eigenartige Traurigkeit, habe nicht geweint. Etwas Falsches war in seinen letzten Wochen geschehen, mit mir geschehen, worüber ich heute, nach Jahren, noch sehr traurig bin. Und das ich noch nicht gelöst habe. Es ist ein heftiger Teil meines Karma. Einmal habe ich das ähnlich in meiner Geschichte „Mein Tibet - Abschnitt II (zwei)“ (http://mein-tibet-zwei.blogspot.de/) beschrieben, fast ebenso war es in Wirklichkeit:

Etwas seitwärts in einer Lichtung treffe ich einen Mann, der neben einem Hund sitzt. Der Hund liegt dort auf der Seite, die Schnauze dem Mann zugewandt, er atmet nur ganz leicht, und ich sehe erst nicht, ob er schläft oder was ist. Der Mann sieht sehr traurig aus. Ab und zu träufelt er etwas Wasser über seine dicke, schwarze Nase. „Er heißt Nanók, und wir lieben uns.“ Nach einer Weile mache ich für uns ein Feuer, denn es ist Abend, und vielleicht wollen wir uns einen Tee machen. Der Mann streicht immer wieder liebevoll über den Kopf und die Schnauze des Tieres. Ich sehe ein paar Tränen in seinem Gesicht, und mir kommen sie auch. Der Mann spricht langsam diese Worte:
 

„Er ist so krank, und ich sehe, er wird sterben.“
 

„Wir lieben uns so sehr, obwohl ich ihm manchmal Unrecht getan habe. Er hat mir nie Unrecht getan, er ist immer treu zu mir. Doch ich habe ihn ein paar Mal verraten.“

Er legt die Hände zusammen und verbeugt sich tief vor seinem Freund, seine Schultern zittern. „Nur sehr selten hat er mir etwas zu essen weggenommen, vielleicht drei mal in seinem ganzen Leben, das ist doch nicht schlimm? Er wusste, daß er das nicht darf und hat sich daran gehalten. Doch einmal, es war noch früh in diesem Jahr, habe ich gesehen, wie er mir ein großes Stück Käse nahm. Da stürzte ich auf ihn zu, um ihm klar zu machen, daß er das wirklich nicht darf, ich habe ihn angebrüllt und auch geschlagen. Er bekommt immer genug zu essen, es war wohl ein anderer Beweggrund, aber ich hätte den Grund respektieren müssen, auch wenn ich ihn nicht verstehe. Schließlich sind wir so enge Freunde, ich hätte es respektieren sollen.“
 

Und er schluchzt wieder ein wenig. 
 

„Doch ich habe ihn geschlagen, und seit dem Moment ist etwas fremd zwischen uns geworden. Die Nähe war nie mehr so wie vorher. Ich war für ein paar Wochen tief traurig, es war nicht möglich, die alte Nähe wieder herzustellen, so oft ich ihm auch den Kopf getreichelt habe. Ich habe ihn umarmt und um Verzeihung gebeten, doch es schien, als ob ihm das nicht mehr möglich wäre.“
 

„Und dann ist noch folgendes passiert, erst vor vielleicht zwei Monaten. Bei einer Verkaufsreise — ich handele mit Strümpfen und stricke sie auch bei meinen Kunden im Haus — bin ich für einige Tage in einem Haus gewesen und habe dort auch gestrickt. Die Leute wollten nicht, daß mein Freund mit ins Haus käme, und ich bat ihn, draußen zu bleiben. Das ist ja ansich kein Problem, so robust wie er ist. Doch er wollte — so sind Hunde ja in ihrer Liebe — in meiner Nähe bleiben, was ich ihm nicht gestattete, ich dachte, meine Geschäfte brauchen auch ihr Recht. Mehrmals am Tag ging ich zu ihm und wir wanderten etwas umher, aber dann musste er wieder an seinem Platz allein liegen. Es war ein schlechter Platz, und er wurde etwas krank in diesen Tagen, und er ist seitdem nicht wieder richtig gesund geworden.“
 

 „Wer weiß, vielleicht war es diese Krankheit, die ihm nun den Tod bringen wird. Besser hätten wir gleich wieder weg gehen sollen von den Leuten — aber manchmal bin ich nicht so klar in meinen Entscheidungen, bin unbewußt. Es ist sehr traurig mit mir. Ich kann nachts kaum schlafen und weine lange Zeit deswegen.“
 

In der Nacht lag ich etwas abseits in meine Schafsfelle gewickelt, und am Morgen war der Hund gestorben. Der Mann weinte hemmungslos und strich immer wieder über das dunkle Fell seines Hundes. Nach zwei Tagen Totenwache gruben wir ihm ein tiefes Grab — und dann war alles vorüber. Spät im Herbst traf ich den Mann wieder, er war immer noch traurig, und er meinte, „nun weine ich nicht mehr, aber die Trauer ist geblieben, ich glaube, weil ich ihm so großes Unrecht getan habe. Das wird mich wohl noch durch die Jahre begleiten: die Liebe zu meinem Nanók und die Trauer über mein Unrecht.“

Ja, so ähnlich war es. Seit dem frage ich ich immer wieder, habe ich den Nanók wirklich geliebt, bedingungslos?  nein, wohl nicht. Das war ein großer Fehler in meinem Leben, in meiner Achtsamkeit, in meinem Charakter. Tränen habe ich darüber vergossen. Wieso habe ich diese Liebe nicht voll leben können? Was war das? Jedenfalls habe ich von dem Leben mit Nanók gelernt, auf Liebe viel mehr zu achten, Nanók war mir ein großer, echter Lehrer.


Was ist Erleuchtung? -  „Bist du bereit dich jetzt zu ändern?
Nanók hat das nicht nötig.



Fünfte Ergänzung:

SHIVA-NATARAJ
Hier finde ich ein Foto des Eingangs zum Tempel in Chidambaram. Einen solchen Eingangsturm nennen sie Gopuram. In Chidambaram haben sie vier solche Gopuram, in jeder Himmelsrichtung eins, dieses ist das östliche, das am meisten benutzte.









Sechste Ergänzung:

DER KRIEG  DER ZWEITE WELTKRIEG
Nur am Anfang habe ich etwas dazu geschrieben. Dennoch haben die Ereignisse, die so viele Leute in Europa mit dem Krieg hatten, mich sehr beeinflusst  wie wohl die meisten Menschen.



Hier ein Bild aus Dresden im Februar 1945, kurze 
Zeit nach der zerstörerischen Bombennacht

So schlimm haben ich´s nie gesehen, doch die Trümmer von Hannover und anderen Städten nach dem Krieg waren sehr traurig. Irgendwie verging das wieder. Aber Berichte während der eigentlichen Kämpfe und der Flucht blieben stärker in meiner Seele. Noch immer wieder stelle ich mir vor, wie es sein muß, einander tödlich zu verwunden oder qualvoll zu sterben.

Oder zu Fuß aus einem sibirischen Kriegsgefangenen-lager nach Mitteleuropa zurück zu laufen. Wie schwierig ist es, auf dem langen Weg den Körper zu reinigen, ausreichend Kleidung und Nahrung zu bekommen, für die Nacht Schutz zu haben, krank zu werden, fremde Leute zu treffen. Und wie es ist, nach all dem hier wieder anzukommen. Noch immer kommen solche Bilder hoch, wenn ich das Wort Sibirien höre, wenn jemand berichtet, eine Touristikreise ins schöne Sibirien zu machen. Oder wenn jemand meines Alters aus St.Petersburg (Leningrad) zu Besuch kommt und von seinen Erlebnissen als Kind während der Belagerung berichtet.

Flüchtlinge, und Heimkehrer aus dem Krieg - und die vielen Verschwundenen leben noch immer in meinen Erinnerungen.




Heimkehrer, Frau entdeckt ihren Sohn 1955



Siebte Ergänzung:

SELIGE ERINNERUNGEN
Nun bin ich achtzig Jahre alt. Und wieder geschah das Folgende, Schöne: eine junge Freundin schenkte mir neulich ein Paar warme Strumpfhosen, in bunten Ringeln. „Ich weiß ja, du wirst sie dir abschneiden, deswegen  . . . .“ Ein großes Glücksgefühl überkam mich, wie ich es als Kind ab und zu hatte, wenn ich ein Paar lange Strümpfe geschenkt bekam. Lange Strümpfe, etwas, das ganz zu mir passt. Nachher werde ich sie mir zurecht schneiden, und morgen anziehen. Ob der Heimkehrer solche Glücksgefühle auch nochmal bekommen darf?  . . .  wirklich zurückkommen darf?

Achte Ergänzung: 

DIE GRENZEN
Der Schweizer Maler Ferdinand Hodler soll gesagt haben, „Das Herz ist mein Auge“. Mir scheint, das empfinde ich auch so für mich.  Nur meine Augen, das sagt mir zu wenig. Das ist schon so seit meiner Kindheit, vielleicht hatte ich deswegen ein wenig Abstand zu den anderen in der Familie. Zu meiner Schwester Barbara aber hatte ich damals mehr Nähe.



Hier als „Reklame-Girl“ wie Freund Uwe eben sagte, mit 16  Backbuch der Reese-Gesellschaft in Hameln. Doch mit ihr bin ich nicht einmal nahe an meine Grenzen ran gegangen, sie aber an ihre, als sie kurz nach diesem Foto zum Fotografie-Studium nach St. Gallen und Zürich ging und drei Jahre in der Schweiz lebte.


Dieser Tage lese ich einen Satz von Andrew Cohen, „Menschen, die am lebendigsten scheinen, ganz im Kontakt mit ihrer kreativen Kraft, sind diejenigen, die an der Kante (edge) ihres Potentials leben.“ Na ja, so ganz sauber ist das nicht übersetzt von seinem Original: „Do you live on your own edge? Living on the edge is exactly what inspired, highly motivated people aspire to always do.“ Das macht mein Leben so lebendig, daß ich immer wieder an die Grenzen ging, an der Abbruchkante meines Lebens lebte.




Neunte Ergänzung:

Die Röcke und die Strümpfe 

So schneide ich mir aus Damen-Strumpfhosen lange Strümpfe — denn für meinen langen Beinen gibt es keine passenden Strümpfe. 




Zehnte Ergänzung:

Das Heilige und das Profane in meinem Leben
Da begegnet mir neulich das Buch „Das Heilige und das Profane“ von Mircea Eliade. Endlich kann ich es besser ausdrücken, wonach ich mich seit so langer Zeit sehne: das Heilige. Schon als Kind habe ich innerlich meinen Eltern vorgeworfen, daß sie im Profanen so sehr lebten, aber mein Sehnen nach dem Heiligen nicht erkannten  oder doch sehr selten. So einfach war es wohl nicht, denn in ihnen wühlten die Kriegserlebnisse noch sehr lange nach.





Elfte Ergänzung:



Ergänzung zu „Entwicklung meiner Sensibilitäten“
Ich schrieb von meinen Sehnsüchten. Da ist noch eine Sehnsucht: Tanzen, Tanzen, Tanzen - zum Beispiel wie hier: https://www.youtube.com/watch?v=Ppm4o_hJYXs .



 Zwölfte Ergänzung:

Neue Erkenntnisse zu meinen Langen Strümpfen
Nun pflege ich seit 72 Jahren meine Vorliebe für die Langen Strümpfe. Oben habe ich schon Vieles dazu geschrieben. Die Pflege meiner Seele in dieser Kleidung ist wohl der stärkste Aspekt. Im Internet und in Gesprächen haben ich gefunden, daß es viele Leute gibt, denen die Langen Strümpfe etwas Gutes bedeuten aber nicht allen. Manchmal habe ich die Zuneigung zu diesen Strümpfen in solchen Gesprächen erst geweckt gerade bei älteren Männern. Frauen haben solche Zuneigung viel seltener. Es bleibt im Moment Spekulation zu erklären, wieso Frauen sie nicht so wichtig finden. 


 Wenn ich mich selbst betrachte, psychologisch betrachte, entdecke ich, wie sehr ich mich seit meiner frühen Kindheit für mein Leben auf die Langen Strümpfe programmiert habe ohne Schaden aber mit Freuden und Hingabe. Denn es gibt eine Tagebuchnotiz meiner Mutter (von 1937), nach der ich mit etwa 4 behauptet habe, "die Erwachsenen haben es gut, sie müssen keine nackten Beine haben sondern können lange Strümpfe anziehen". 

Und es ist mir seit meiner Kindheit ab etwa 10 klar gewesen, wie seelisch nützlich mir meine Langen Strümpfe sind (wenn ich sie auch selten bekommen habe, leider). Und das ist geblieben, und heutzutage finde ich in manchen Gesprächen diese Erkenntnis bestätigt, gerade als Hilfe für Kinder zur eigenen seelischen Stabilisierung. Zusätzlich zur seelischen Stabilisierung habe ich eine sanfte, zarte Eigen-Erotik mit Hilfe dieser Strümpfe empfunden (in diesem Punkt sind Strumpfhosen unwirksam, eher hemmend).



Dieses Bild zeichnete ich nach einem alten, unscharfen Foto. Es zeigt eine gelegentliche Situation die Strumpfhalter hatten sich von der Unterwäsche (Strumpfhaltergürtel oder Leibchen) gelöst. Das machte mich zwar verlegen, wenn andere dabei waren. Aber ich bekam auch diese eigen-erotischen Gefühle, heimlich-genußvoll. So etwas ist den Jugendlichen heutzutage nicht gegönnt ja offiziell wird alles getan, um unsere Kinder davor zu bewahren (obwohl solche Erfahrungen gewiß zur Bildung einer feinen Erotik beitragen).


Eine  Dreizehnte Ergänzung findet Ihr hier:

http://knabentraeume-eins.blogspot.de/2014/08/zehntens-stefans-vorletzte-incarnation.html .



 Eine  Vierzehnte Ergänzung
  
Im Web finde ich das Folgende: 

Das Forschungsprojekt Höheres Bewusstsein

Das Higher Development Research Project (HDRP), ein Forschungsprojekt des EnlightenNext Discovery Cycle, wird sich mit diesem Grenzgebiet des Verständnisses der Evolution menschlichen Bewusstseins befassen. Das HDRP wird die Auswirkung auf die Entwicklung erforschen, (1) durch die intensive und zielgerichtete Auseinandersetzung mit der Tiefendimension, die man in Meditation im Urgrund des Seins erfährt, (2) durch die kollektive Auseinandersetzung beim Objektivieren von existierenden kulturellen Werten und Verkörpern einer neuen Perspektive auf das Selbst und die Kultur, (3) durch gemeinsames Erforschen innovativen Denkens. Es gibt viele Fragen zur Messung von Fortschritt und Entwicklung – auf der individuellen wie auch der kollektiven Ebene – mit denen sich die Teilnehmer und Forscher im Discovery Cycle auseinandersetzen werden. Die ersten drei Forscher, die ihre Mitarbeit am HDRP zugesagt haben, sind Zachary Stein, Marilyn Hamilton und Cindy Wigglesworth.
Hinweis: http://www.evolve-magazin.de/radio/was-ist-hohere-bewusstseinsentwicklung-das-higher-development-research-project/ .


Da frage ich mich, wie weit habe ich so etwas wie Höheres Bewußtsein entwickelt, strebe ich wirkungsvoll danach? Verstehe ich überhaupt, was genau damit gemeint ist? Da bin ich bei mir ziemlich unklar. Mancher Leser wird das nach dem Lesen der Fünfzehnten Ergänzung ablehnen.




 Eine  Fünfzehnte Ergänzung
  
In diesen Tagen habe ich ein fantastisches Buch gelesen: „Kein Zurück“ von Jan-Pascal Schütte Lanz. Verlag novumpro, 2009, ISBN 978-3-85022-747-6. Insgesamt 261 Seiten. Jan ist 1960 geboren. Er beschreibt seine Kindheit und Jugend von Geburt bis etwa 18. Für mich ist das Besondere an dem Buch sein Mut, seine Dynamik, sein eigener Lebensstil, besonders als Kind. Wichtig für ihn war die Liebe zur Schönheit seines Körpers. Das betonte er immer wieder, indem er besondere kurze Hosen (Lederhosen) und Strumpfhosen anzog. Die er ab 12 oder so auch selbst im Laden ausgesucht hat, besondere Farben und Muster. Und das in einer Zeit, als Knaben in Westdeutschland keine Strumpfhosen mehr anzogen (nur noch Mädchen und Frauen). Ab 12 oder 13 hat er auch Lange Strümpfe getragen – auf Anregung seiner Mutter, die diese Strümpfe von ihrer älteren Tochter noch liegen hatte. Diese Kleidung hatte eine erotische, auch auto-erotische Bedeutung für ihn. Was ich gut nachempfinde.

Doch als Kind und Jugendlicher hatte ich nur davon geträumt - bis auf eine Ausnahme: als ich etwa 8 oder 9 war, hat mir meine Mutter mal Lange Strümpfe gegeben, und das habe ich sehr genossen, und die Sehnsucht nach dieser Kleidung hat mein ganzes Leben angedauert - bis ich mit 45 begann, immer welche zu tragen. In der Kinderzeit habe ich nur kurze Zeit die Langen getragen, wieso nicht immer, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls hatte ich nicht den Mut, meine Mutter darum zu bitten, obwohl die Sehnsucht danach war. Und obwohl viele Kinder welchen trugen, Mädchen und Knaben. Lange Strümpfe waren nicht wirklich mädchenhafte Kleidung, nur haben mache Männer immer wieder die Knaben (auch ihre Söhne), die welche trugen, als mädchenhaft verspottet. Das war sehr unfair. 

Wenn ihr die von mir bei Flickr gesammelten alten Fotos seht, ist das verständlich. Bei Flickr: https://www.flickr.com/photos/aryaman-stefan/ . Und auch von Charles: https://www.flickr.com/search?sort=relevance&text=boys%20long%20stockings .

Lange Strümpfe müssen gehalten werden, und dazu dienen ja die bekannten Strumpfhalter, die er auch sehr schätze – auch ich auf auto-erotische Weise.

Und so hat mir Jan´s Buch so gut gefallen. Obwohl er keinen interessanten Stil schreibt. Er schreibt eher auf eine banale Art. Aber oh, seine seelischen Erlebnisse!!!  Jan hat als Kind zu seinem Lebens-Stil gestanden! Obwohl auch Strumpfhosen für Knaben über 10 nicht mehr üblich waren und er wahrscheinlich verspottet wurde. Doch ich finde, er war ein starkes Kind. Er kämpfte immer wieder gegen die Muster seiner Eltern, Lehrer und so weiter an.

Doch er hat auch viele andere Lebensbereiche beschrieben, oft erotische und sexuelle Erlebnisse von kleiner Kindheit an, besonders mit anderen, befreundeten Knaben. Erlebnisse, von denen ich kaum mal geträumt hatte. Das ist schon etwas Besonderes, denn bisher habe ich immer geglaubt, daß man als Kind gar nicht die Energie und Anregung und Freiheit zu so einem starken Lebensstil hätte. Doch Menschen sind wohl sehr unterschiedlich im Charakter. Er hat seine Kleidung, wenn möglich, angepasst an seine auto-erotischen Bedürfnisse, auf viele Weisen.

Dieses Bild ist von 1970, also etwa so wie Jan seine Kleidung erlebte.





Aryaman Stefan Wellershaus
Rabenzweig 1, D-23972 Olgashof
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03841-793337