Sonntag, 21. Juli 2013

Fünftens - die Mädchen-Strümpfe?




Nun lieben wir unsere langen Strümpfe – das Mädchengefühl
(long stockings - feeling as a girl?)

Junge will lieber Mädchen sein

Zuhause steht ein Plattenspieler. Eingebaut in einen Schrank, das hat mein Vater noch gemacht bevor er als Soldat in den Krieg ziehen musste. Man kann den Plattenspieler rausziehen, eine Platte auflegen, die Nadel aufsetzen und die Musik abspielen. Das tat Mutti heute am sonnigen Sonntag Morgen wie so oft, „in ehrendem Andenken an deinen Vater, hoffentlich kommt er bald zurück,“ sagte sie mit ein paar Tränen. Sie legt das Zweite Brandenburgische Konzert von Bach auf, und wir hören andächtig zu, ich mag diese Musik sehr gerne und könnte sie fast immer anhören. Sie ist so besonders festlich.


Daniel und ich trinken sorgfältig und leise unseren Kakao, den es nur am Sonntag gibt, eine Kostbarkeit, so kostbar wie diese Musik. Voller Aufmerksamkeit lehne ich mich weit vor und krieche fast in den Lautsprecher vom Radio. Die Hände bewege ich sanft zum Takt. Vergesse den Kakao andächtig. Daniel kann sich nach den Kriegserlebnissen noch nicht ganz hinein fallen lassen, sagt er. „Wir hatten auch ein  Grammophon, nun ist alles hin. Und so schöne Platten. Vielleicht haben wenigstens ein paar Russen ihre Freude daran, sie sollen ja so musikalisch sein. Trotz der elenden Schießerei damals.“

Versonnen streicht er über seine Beine in den warmen Strümpfen. Mutti fragt uns, was wir so Besonderes an den langen Strümpfen finden. „ICH finde sie ja schon etwas Großes, aber ihr?“

Dazu sage ich, „als die Schule wieder anfing, hatte da jemand einen Plattenspieler mit dieser Musik aufgestellt, das war das große Fest für uns. Da sah ich manchen Jungen so angezogen wie wir jetzt, und das war DIE Stimmung für mich, endlich wieder Frieden, endlich wieder Normales, Warmes, Sicheres, Schutz – endlich wieder echt Feierliches. So finde ich das heute, ein halbes Jahr später. Ein Zeichen  . . . “

Daniel: „sie sind eben Zeichen für den Frieden, für mich jedenfalls. Wieder Ruhe und, wie Stefan sagt, Sicherheit, Wärme  . . . allerdings auch Sehnsucht nach der Schönheit der Kindheit.“

„Ja, diese Strümpfe? Ich habe oft darüber nachgedacht,“ sage ich. „Langsam werden sie mir wirklich etwas Besonderes, ein Luxus.“ Und dann dämmert mit etwas mehr: „Ich fühle doch meinen Körper an zwei Punkten am meisten, ganz oben im Gesicht und unten, wo wir meistens eine Hose darüber ziehen. Oben und unten, sozusagen, das feine Gefühl.“ – Das Konzert ist vorüber, und ich denke weiter nach. „Das Gesicht halten wir immer frei und spüren so viel und zeigen uns. Doch unten verbergen wir alles, was von draußen kommt. Und man darf uns da nicht sehen, heißt es.“

„Wir schützen uns vor  der Welt, das hat Daniel in seinem Bild ja richtig dargestellt, er schützte sich vor dem Dreck und den Gefahren des Krieges in seinen wulstigen Hosen. Doch nun ist das ja alles vorbei, oder? Da brauchen wir nicht mehr so viel Schutz. Können uns mehr leisten, Offenheit meine ich.“

Daniel sagt noch mal, „in den kurzen Hosen und den langen Kinderstrümpfen bin ich wieder weicher geworden, nochmal Kind, wie es sein sollte.“

„Sag uns noch mehr, Stefan,“ lockte Mutti mich. – „Ja, in die kurzen Hosen kommt ab und zu mal Wind, und den spüre ich ganz zart am Körper. Das passiert ja nicht in langen Hosen, aber so, ja. Die langen Strümpfe schützen die Beine  . . .  doch darüber spüre ich Freiheit. Fast dieselbe Freiheit wie im Gesicht.“

„Manchmal stelle ich mich in den Wind, auf der Flußbrücke, lasse ihn in die Hosenbeine ziehen, und dann  . . .  an den Strümpfen vorbei, eben vorbei, so daß die Knie im Warmen bleiben – so mag ich das.“

„Das ist es mit den langen Strümpfen, und ich werde es schade finden, wenn das mal nicht mehr sein wird, weil ein Mann  . . .  Ich sollte eine neue Mode erfinden. Ohne diese langen Hosen, die alles so abdichten.“

Mutti meint, „das passt aber nicht für jeden Mann, stell dir vor, diese kräftigen Männerbeine . . .“ – „Doch“ sage ich, „ihr Frauen tragt sie fast immer, dennoch, denn viele haben auch diese kräftigen Beine.“

„Und am liebsten habe ich sie so, daß sie sehr lang sind und die Hosen kurz, ich will das mal zeichnen.  . . .

 So etwa möchte ich manchmal aussehen. 

Hier seht ihr es, wenn ich mich richtig hinsetze, weht der Wind an die nackten Schenkel.“

„Die Mädchen haben ja immer diese langen Strümpfe an,“ sagt Daniel.. „Und es macht Spaß hinzusehen, wenn das Kleid nicht alles bedeckt. Ob denen das wohl so viel Spaß macht wie dir, Stefan?“ – „Nein, kein besonderer Spaß,“ sagt Mutti, „wir sind das ja von Klein auf gewohnt, ist nicht so was Besonderes wie für euch. Nur für mich, ich liebe sie. Da sagt auch niemand, du siehst ja aus wie ein Junge. Es gibt da nichts zu schämen – wie bei euch Jungen, wenn jemand sowas sagt.“

Ich liebe es, daß meine Beine schlank sind, die Strümpfe betonen das noch. Hier zeige ich euch mal ein Foto von einem Offizier, der hat vielleicht so dicke Männerschenkel, und vielleicht weil sie sich damals schämten, hatten sie diese Reithosen an, fast alle Offiziere der früheren "Wehrmacht".


Und wie ich in einem Buch über militärische Uniformen mal sah, ist das in vielen Ländern so. Soll vielleicht besonders stark und mächtig aussehen. Doch als Kind bin ich nicht stark, ich hätte Angst vor einem solchen Mann. Und wie mir mal eine alte Frau sagte, du bist so wie du bist, und musst nicht was anderes werden. Das kommt ganz von selbst. Jedenfalls jetzt als Kind bist du nicht stark – und mußt es auch nicht sein.

Und ich will auch nicht stark sein. Das zeigen mir meine Beine, und die Strümpfe beschützen meine Schwäche und zeigen das allen, und verführen mich, meine Beine zu streicheln und zu lieben. Ich will sie lieben, nicht stark machen.

 (1951) – mir wären die Strümpfe zu kurz
gewesen, doch so sahen wir oft aus.  

Hier gibt es ein altes Foto, wie es oft zu sehen war. Das ist nicht sehr elegant. Doch die Knie haben es warm, und darum ging es der Mutter von dem Jungen wohl. Dennoch, ihren Töchtern würden die Mütter das nicht zumuten.


Längere Strümpfe hätten mir besser gefallen, wie bei diesem Buben:

  Bei diesem Schweizer Buben (1949)
sind die Hosenbeine länger,
ihr seht wie es dennoch so oft ist:
  im Sitzen sieht oben die nackte
Haut raus, wenigstens etwas.
Doch das gehört dazu.

Den Mädchen geben sie längere Strümpfe, vielleicht wie auf diesem Bild:


„Und dann noch was,“ sage ich, „irgendwie sagen sie alle, lange Strümpfe sind Mädchen-Sachen. Ja das mag stimmen, obwohl jeder Junge mal welche angehabt hat, wenn wir jünger waren. Ich jedenfalls habe das Mädchengefühl. Und ich mag das gerne, und das wird wohl der Grund sein, daß ich diese Strümpfe liebe – ich liebe das Mädchengefühl.“



Lange Strümpfe vermitteln das Mädchengefühl, oder?

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